12th March
Es ist Montag. Am Freitag
startet die Reise. Es gestaltet sich interessant, wie
meine Stimmung & Verfassung angesichts dieses Unternehmens
fortwährend wechseln - und beinahe alle Schattierungen
durchlaufen. Während ich vorletzte Woche primär von Angst
und verschiedenen Befürchtungen beherrscht war, hatten sich
meine Bedenken vergangene Woche quasi verdünnisiert und
ich schwelgte in verheißungsvoller Vorfreude. Diese Woche
trägt nun schon wieder ein anderes Gewand. Schlecht
geschlafen habe ich in der letzten Nacht. Und je näher die
Reise rückt, umso weiter möchte ich von ihr Abstand
nehmen. Am liebsten würde ich mir die Decke über den Kopf
ziehen - und einfach zu Hause bleiben. Bei meinen Katzen,
bei meinem Vertrauten, bei dem, was ich Heimat nenne. In
meinem sicheren Hafen.
Sicherlich hat mich niemand
gezwungen, dieses Abenteuer zu wagen - noch dazu in dieser
Weise. Ich tue es aus freien Stücken - geleitet von einem
tiefen inneren Wissen, dass es richtig und wichtig für
mich ist - und dennoch fällt es mir nicht leicht, meine
gewohnte Komfortzone zu verlassen. Ganz und gar nicht
sogar.
Traurig bin ich heute - und
kann noch nicht einmal benennen, weshalb. Ich habe das
Gefühl, dass mir diese Geschichte über den Kopf wächst,
Dass ich es nicht handlen können werde. Hege den Gedanken,
es nicht zu schaffen. Ergo: Ich fühle mich überfordert -
und wie aus meinem Nest geschubst. Was unwahr ist -
schließlich habe ich mich aus eigenen Stücken
herausgestürzt.
Und dennoch fühle mich
ungeborgen. Ein in meinem Leben wiederkehrendes Gefühl.
Ein Gefühl, das mich angreifbar macht, verletzlich,
nahe am Wasser gebaut. Und mich auf Rückzug polt.
Und ich hadere heute. Ganz
leise zwar nur. Aber vorhanden. Sehne mich nach
Vergangenem und forme zeitgleich den Wunsch, einst wieder
ungetrübt vorwärts - und nicht länger rückwärts zu
schauen. Ich weiß, es wird sein. Aber es ist noch nicht.
Was ich mir wünsche ist
Geborgenheit. Nicht nur in Anbetracht dieser Reise.
Sondern in Anbetracht meines Seins. Ich möchte ankommen.
Schutz. Rückhalt. Ein emotionales Zuhause.
Traurig macht mich hierbei
der Umstand, dass ich mich vor nicht allzu langem bereits
angekommen fühlte. Bevor ich es abrupt wieder aus den
Händen lassen musste. Und mein Leben erdbebengleiche
Erschütterung erfuhr.
Tatsache bleibt: Ich habe
keine Schwierigkeiten damit, mich alleine in dieser Welt
zu bewegen. Im Zweifelsfall und wenn sich niemand anderes
findet, tue ich die meisten Dinge auch auf mich selbst
gestellt. Der eine Teil meiner Freunde und Bekannten
bewundert mich für diese Eigenschaft. Der andere Teil
agiert in genau gleicher Weise. Man könnte uns eventuell
betrachten als einen Pool von Lonesome Ridern, die jeweils
autark wie eigenwillig ihren Pfaden folgen - in sehr
inniger Weise miteinander verbunden sind und die sich auf
beliebigen Rastplätzen des Lebens immer wieder tief begegnen.
Austauschen, was ihnen in der Zwischenzeit widerfuhr. Die
jederzeit da sind, wenn Not am Mann ist und ein Hilferuf
sie ereilt. Und seien sie am anderen Ende der Welt. Die
ihre Leben füreinander geben. Und einander dennoch
maximales Freisein gewähren. Ich liebe diese Menschen. Die
ich meine Freunde nenne. Denen ich mich so sehr verbunden
fühle.
Aber dennoch: Ebenso gerne
wie ich alleine bin, bin ich zu zweit. Ein Gegenüber
gewährt mir Heimat. Heimat, nach der ich mich sehne zur
Zeit.
Sicher ist es nicht so, dass
ich kein Zuhause hätte. Ich habe es. Sogar ein ganz
wundervolles. Für das ich inniglich und zutiefst dankbar
bin. Ich teile mein Leben mit einem Menschen, den ich
meinen Bruder nenne, meine Familie, meinen besten Freund
und meinen Gefährten. Seit nunmehr 14 Jahren gehen wir
Seite an Seite - mal in engerem Verbund, mal mit etwas
größerem Abstand zwischen uns - aber immer im
Blickkontakt. Fast ebenso lange teilen wir uns Tisch und
Heimstatt. Wir wohnen zusammen. Aber wir sind kein Paar.
Ich möchte behaupten, dass
unsere Leben untrennbar miteinander verbunden sind. Wir
geben einander viel. Aber eben nicht alles.
Es ist nicht dasselbe wie
ein Lebenspartner, der zeitgleich auch Liebespartner ist.
Denn letzterer bietet ganz besonderen
Schutz und Zugehörigkeit. Die jeder andere nur partiell ersetzen
kann. So denke ich das.
In jedem Fall sehne mich
nach einer Form der Tiefenentspannung, des
Loslassenkönnens, dass ich lediglich empfinde, wenn ich
mich angekommen fühle. In den Armen des Geliebten.
Was ich lange nicht gefühlt
habe. Vielmehr ist an ihre Stelle eine fortwährende
Grundstimmung der Anspannung getreten - die ich
schon fast nicht mehr wahrnehme, da ich ihren Kontrast
derzeit nicht lebe. Und somit kein Gegenteil kenne.
Es ist zeitweilig
anstrengend, überwiegend im Alleingang durch diese Welt zu
rocken. Ohne Ruhepause. Ohne Zuflucht. Denn es trägt mit
sich eine besondere Art der Schutzlosigkeit, die
herausfordert und immer wieder auf sich selbst
zurückgeworfen ist. Bar einer Kraft spendenden Oase im
Außen. Diese muss im eigenen Inneren verortet werden.
Wie häufig finde ich mich in
der Rolle des attraktiven Single-Weibs, auffällig in Wesen
und Erscheinung, nach dem prophylaktisch ausgetreten
werden muss. Wobei viel zu gerne vergessen wird, dass
dieses Wesen Augen und Ohren hat, die jeden Angriff
wahrnehmen.
Zwar scheue ich mich nicht,
Erfahrungsräume im Alleingang zu betreten, in denen ich
vorwiegend auf Paare, Gruppen und Verbünde treffe. Aber es
schmerzt mich, von ihnen geschwächt zu werden. Weil sie
zwar meine Stärke sehen - aber nicht meine
Verletzlichkeit, die offensichtliche Unterzahl und meine
Sehnsucht, es ihrer Zweisamkeit gleichzutun.
Aber diese Rolle bringt auch
Vorteile. Ich durfte Wundern und schier unglaublichen
Menschen begegnen - allein deshalb, weil ich offen,
alleine und empfänglich war. Diese Welt ist voll von
Wundern. Und voll von unglaublichen Menschen.
Bei alledem bleibt, dass ein
besonderer Fokus auf jenem liegt, der einem Konsens nicht
entspricht. Ein Fokus, der nicht in jeder Verfassung
gleichbleibend leicht fällt.
Ich habe mir den Verlauf
meines Schicksals nicht ausgesucht. Zumindest nicht
bewusst. Ich wollte zu diesem Zeitpunkt nicht auf
Solopfaden wandern. Und dennoch: Ich werde mein Dasein im
Zweifelsfall bis zuletzt alleine fristen - wenn es denn
notwendig sein wird.
Keinesfalls bin ich bereit,
ein einziges Mal noch Halbherzigkeit oder Machtlosigkeit
in meinem Leben zu akzeptieren. Ich habe lieber keine
Gesellschaft - als eine kontraproduktive.
All diese Dinge gehen mir
durch den Kopf, während diese Reise immer näher rückt. Ich
schätze, dass dies an ihren besonderen Herausforderungen
liegt.
Denn zwar habe ich diese
Herausforderungen bewusst für mich gewählt. Aber ich fühle
mich auch müde. Müde, mich immer wieder ungeschützt in
diverse Abenteuer zu begeben. Den Dingen im Alleingang die
Stirn zu bieten. Auf zwischenmenschlichen Rückhalt
zu verzichten. Wie ein Vertrauter dies gerade böte.
Wie gerne hätte ich jetzt
den Geliebten an meiner Seite, um mit seiner Rückendeckung
dieses Abenteuer anzutreten.
Aber es ist nicht. Es wird
sein, wie es ist. Und ich bin unendlich dankbar dafür.
Dankbar, dass ich ein Wesen zur Seite gestellt bekommen
habe, das mir die Verwirklichung meines Traumes
ermöglicht. Hier und heute. Jetzt. Weil es Zeit ist.
Und dennoch trete ich diese
Reise an in dem Gewahrseins meines tiefen Bedürfnisses
nach Schutz, Rückhalt, Geborgenheit und Heimat.
Ich fühle mich müde. In der
Weise müde, dass ich neulich zutiefst sehnte, als ich an
einer Kasse in der Warteschlange stand - direkt hinter
einem 2-Meter-Hünen, mit breitem Kreuz, Tattoos und
Muskelpaketen - mich einfach anzulehnen und hinter seinem
Rücken Zuflucht zu finden.
Ich sehnte, in diesen Armen
angesichts einer so imposanten Erscheinung die Winzigkeit
des kleinen Mädchens zu spüren, das in mir lebt. Und das
in den vergangen Jahren so stark sein musste.
Auch, wenn ich nun reisen
werde.
Ich möchte ankommen.