10th - 13th April


 

Wir haben unsere kleine Garden Casita im Stadtteil Culver City inzwischen wieder verlassen – just in dem Moment, in dem ich mich endlich imstande zeigte, mit dem Auto von nahezu jedem Punkt in LA wieder zurück in die Hubbard Street zu finden – und zwar ganz ohne drastische, gänzlich unfreiwillige Schleifen und Kreise zu ziehen – und haben nun Quartier in den Hügeln bezogen. Hier nun leben wir in den legendären Hollywood Hills – mit unverstelltem Blick auf Hollywood Sign sowie Hollywood-Reservoir auf der einen – und LA Downtown auf der anderen Seite. Auf einem riesigen, wunderschönen Anwesen bewohnen wir ein Appartment – irgendjemand hat hier Geld und zwar nicht zu knapp – das ist sicher. Abends, wenn die Sonne sich hinabsenkt und schließlich der Nacht und den Sternen den Himmel räumt, liegt einem ganz LA zu Füßen – ein riesiger, breitflächiger Teppich – ein glanzvolles, weites Lichtermeer. Eine riesige Terrasse lädt zum Verweilen ein und dazu, die Gedanken schweifen zu lassen, während man über den Dingen thront. Nicht zuletzt befinden wir uns in etlicher prominenter Gesellschaft – Chris Brown besitzt direkt unter uns in den Hügeln sein Anwesen und gewährt uns besten Einblick – sein monströses, modernes Haus wird flankiert von einem halben Dutzend fetter Schlitten – anfahrende und abfahrende Gäste können von unserem Standort aus leichtens registriert und beobachtet werden – und auch er selbst wird wohl ab & an in einem der Autos sitzen. Weiterhin erzählen uns unsere Gastgeber immer wieder gerne, dass es wohl möglich sei, von hier aus direkt in sein Schlafzimmer zu schauen - und er sich auch hineinschauen ließe. Wilde Parties sollen dort mitunter abgehen – aka Gelage. Klar, was meine nächste Anschaffung folgerichtig sein wird – ein Fernglas natürlich. Ein paar Häuser weiter wohnt Moby und auch Madonnas Anwesen ist von hier aus zu erspähen – allerdings nicht einsehbar für uns.

 

Während ich indessen also bestens informiert über unsere prominenten Nachbarn bin, habe ich zeitgleich keinen blassen Schimmer, wo wir hier eigentlich gelandet sind – wer genau wohl unsere Gastgeber sein mögen. Kreativschaffende - soviel wird deutlich – und offensichtlich auch nicht ganz unerfolgreich, denn so eine Location hat ihren Preis. Das geht nicht ohne Kohle. Und dennoch: Irgendwas ist hier nicht ganz sauber. Die gesamte Zeit unseres Aufenthalts über begleitet mich ein sonderbares Gefühl & es fällt mir immer wieder schwer, meine Klarheit zu behalten - nicht zuletzt ist ebenfalls Klaus verhältnismäßig deutlich neben der Spur. Vielleicht ist es auch einfach das vielzitierte 'kreatives Chaos', das an diesem Ort eine ganz neu dimensionierte Begrifflichkeit erhält.

 

Als wir eintreffen, empfängt uns John, ein schwarzer Musikproduzent sowie Freund des Hauses, der ebenfalls hier lebt. Die Eigentümer sind ausgeflogen und kehren erst am Folgetag zurück. John geleitet uns über das Anwesen, erklärt uns alles Wissenswerte und Notwendige, präsentiert uns sein Studio – und wird uns letztlich unseren gesamten Aufenthalt über an seinen laufenden Kreativprozessen teilhaben lassen und mit seinen aktuellsten Kompositionen beschallen. Ob wir wollen oder nicht. Und zwar laut. Es gibt kein Entrinnen für uns - sein Studio grenzt direkt an unser Appartment. Lediglich eine kaum schalldichte Rigipswand befindet sich zwischen uns. Auch nach zwei Tagen bleibe ich allerdings immer noch ein mäßiger Fan seiner Roherzeugnisse - wir machen uns inzwischen lustig über sein Lalala. Dennoch scheinen durchaus abweichende Meinungen zu existieren – eine kleine Nummer scheint hier niemand zu sein. Als ich ihn am zweiten Tag nach unserer Ankunft in seinem Studio aufsuche, um ihn zu fragen, ob er Rat mit meinem Netbook wüsste, zu dem ich neuerdings keinen Zugang mehr bekomme, lungern zwei Mädels auf der Couch in seinem Studio, er selbst sitzt am Mischpult und widmet sich seinen Kompositionen – eine Flasche Whiskey steht auf dem Schreibtisch. Es ist lichter Tag, aber sein Atem sowie Flüssigkeitsstand in der geöffneten Flasche lassen freudigen Konsum desselben wahrscheinlich wirken. Ein lebendiges, atmendes Klischee – spannend. Amüsant. Und überhaupt - John wirkt kaum immer taufrisch. Ich verspüre wenig Begierde zu erfahren, was er sich sonst noch so einpfeift. Abgesehen vom Whiskey. Aber hey - vielleicht werden wir ja einer seiner neuen Kompositionen demnächst in den Charts begegnen. Und können dann behaupten, wir wären seine Musen und quasi live bei der kreativen Geburt dabeigewesen. Und zwar derart live - dass wir es beinahe nicht aushalten konnten.

 

Kuriose Dinge geschehen hier. Schnell vermittelt sich mir der Eindruck, dass nicht nur John - sondern alle hier irgendwelche Drogen konsumieren. Und zwar nicht geringfügig. Ein Eindruck, der sich am Folgetag bestätigen soll. Als wir abends den Gastgeber und seine Freundin,  ein nur zurückhaltend mit Intelligenz beeindruckendes Society-Girl (aber hey: sie ist echt nett!!), und den dritten im Bunde, Arizona-Boy Jeff, helfende Hand und Assistent seines Zeichens, kennenlernen sollen – sind die drei dicht wie ein Eimer. Unglaublich. Begleitet vom Klischee-Kichern von Jackie, Coreys Freundin, führen wir sehr inspirierende Gespräche. Nicht. Corey, der Gastgeber, ist Clubbesitzer, wie sich herausstellen wird – er besitzt Locations in LA und in Vegas – hieraus wird wohl auch sein Reichtum gespeist. Sympathisch abweichend davon sein äußeres Erscheinungsbild – lange Haare, locker, lässig, easy-going – er wirkt direkt den 68ern entsprungen. Voller Stolz stellen sie uns an diesem Abend ihre elektronische Wasserpfeife vor – deutsches Fabrikat. Die beste, die sie jemals hatten - wie sie sagen. Ja, natürlich. Das ehrt unsere Nation natürlich. Sieh' mal einer an: Wir können auch Gutes. Ihrer Einladung, dieselbe kurzum auf ihre formidable Praxistauglichkeit zu testen, möchten wir allerdings kaum nachkommen. Sie werden uns in den nächsten Tagen noch häufiger um Gesellschaft bei ihren Sessions bitten. Aber wir werden konsequent ablehnen. Was keiner weiß: Wir sind im Kampf gegen Drogen unterwegs. Unseres Zeichens Abgesandte und Delegation. Und um die Wahrheit zu sagen: Keiner von uns beiden hat Bock auf diesen Background. Noch damit etwas am Hut.

 

Nichtsdestotrotz werden wir nicht unangetastet von der Atmosphäre in dieser Location bleiben: Ich weiß nicht, ob es Dämpfe – oder schlicht energetische Schwingungen sind – unser gesamter Aufenthalt hier wird chaotisch verlaufen. Klaus zerstört am ersten Abend direkt die Keramik-Toilette – ich habe keine Ahnung, wie er das hinbekommen hat – verspüre aber auch nur geringfügige Lust, es in Erfahrung zu bringen, also frage ich nicht - und ich habe mich derweil kurzfristig aus meinem Netbook ausgesperrt. Im Versuch, mich ins hiesige Wi-Fi einzuloggen, muss ich mal eben Benutzernamen und Passwort für mein Netbook angelegt haben - allerdings ohne mein Wissen und Bewusstsein – folglich kenne ich auch Benutzernamen und Passwort nicht. Mein Netbook bleibt ab hier an - für den Rest des Urlaubs - für mich gesperrt.

 

Indessen Klaus also die nächsten Tage mit der Reparatur einer Toilette beschäftigt sein wird – unter Assistenz des Arizona-Boys Jeff - knie ich auf dem Fußboden und schreibe diese Zeilen handschriftlich nieder. Ich werde meine Aufzeichnungen später übertragen müssen – und erst in Deutschland publizieren können. Who cares. Kehren wir also ins präcomputertechnische Zeitalter zurück - und schreiben per Hand. In meinen Pausen assistiere ich bei Toiletten-Reparaturen und lerne neue Vokabeln von Jeff. 'Mexican shit' sowie 'Niggering' werden häufig im Rahmen der Toilettenreparatur von ihm zu hören sein.  Letztlich bauen wir im Zuge der Reparatur nahezu das komplette Appartment neu. Grandios. Womit man sich in den Hollywood Hills nicht so alles beschäftigt. Aber wir gewinnen interessanten Eindruck. Besuchen mit Jeff den Hollywood-Baumarkt, an dem sich Mexikaner gleich Nutten postieren und die man für 10 Dollar die Stunde gleich miteinpacken kann – damit sie einem zum Beispiel Häuser bauen. Toiletten reparieren. Or something like that. Zum Dinner gibt es ein Drive-Thru, wir essen mit Jeff im Auto Fast-Food, lassen die Ausdrucksweise der New Yorker von ihm als 'Goofy Talk' bezeichnen, sind belustigt - und fahren sodann fort mit der Toiletten-Reparatur.

 

Mulholland Drive, Hollywood Sign, Sunset Boulevard, Rodeo Drive, Kodak Theatre, Walk of Fame, Beverly Hills - ich habe mich umgeschaut in den letzten Tagen. Bin wenig beeindruckt von den ‘Hotspots’ dieser Stadt – wenn auch inzwischen angekommen. Mit Leib und Seele. Aber ohne Herz. Alles wirkt sehr viel kleiner, niedriger und weitaus unspektakulärer als ich es mir vorgestellt habe - geprägt von medialen Eindrücken. Die Innenstadt und die verschiedenen Stadtviertel catchen mich kaum – meine Lieblinge bleiben das Meer und die Küstenlinie – und nun auch die Hills. Ihre Flora und Fauna. Es ist überwältigend, welche Natur sich unmittelbar an die Innenstadt anschließt.

 

Vormittags besuchen wir unverändert die Sprachschule - wir stehen jeden Tag um 6:30h auf, um uns spätestens um 8h auf den Weg die Serpentinen der Hügel hinab, den Sunset Boulevard hinunter und quer durch die Innnenstadt zu machen – bis hin zum Wilshire Boulevard, wo sich unsere Sprachschule befindet. Jeden Tag verbringen wir Ewigkeiten und Stunden im Verkehr, mit dem schlichtem Ziel und der Aufgabe, von A nach B zu gelangen. Tatsächlich scheint permanent Rush-Hour zu sein - Unmengen von Traffic wälzen sich die Highways und Freeways entlang - noch dazu erstreckt sich diese Stadt mehr in die Breite als in die Höhe - dadurch werden die Wege weit in LA. Weit und schier endlos. Kaum, dass man sich versieht, ist ein Tag vorüber – und man hat doch kaum etwas vermocht, als eine überschaubare Strecke zu überwinden.

 

Die Sprachschule hingegen ist eine sehr lohnende Erfahrung. Wenngleich eine Woche für kaum mehr ausreichen soll, als sich einen ersten Eindruck sowie eine Meinung zur Sache zu bilden. Es ist meine erste Begegnung mit dieser Möglichkeit des Spracherwerbs – und ich halte es inzwischen für eine phantastische wie gleichermaßen effektive Möglichkeit hierfür. Hinzu gesellen sich etliche positive Nebeneffekte – durch das internationale Feld, in dem man sich hier zwangsläufig bewegt, hat man schnellstens sehr viele Kontakte und lernt sehr viel über die unterschiedlichsten Kulturen – nicht zuletzt kommt man mit unterschiedlichsten Backgrounds und Menschen in Kontakt. Insbesondere lieben lerne ich die Conversation Class mit Chris, einem hochintelligenten, gut informierten, aufmerksamen, schauspielerisch begabten und sehr humorvollen Lehrer, der den Unterricht leichtens in echte Quality Time verwandelt. Ich lerne ihn sehr schätzen. Ebenso wie die knapp 2h, die wir jeden Tag mit ihm verbringen. Saudis sind in unserer Klasse, Schweizer, Franzosen und eine Kolumbianerin. Und alle erzählen tagtäglich etwas zu den Gebräuchen und Koventionen in ihrem jeweiligen Heimatland – es ist bereichernd und spannend, jeweiligen Usus miteinander zu vergleichen. Während wir uns mit Nachrichten beschäftigen, miteinander in Austausch kommen, Vokabeln und Grammatikalisches lernen, gibt Chris uns mit Beginn jeden Tages weiterhin ein sogenanntes 'Riddle' zu lösen – ein Rätsel, das Kombinationsgabe von einem verlangt - wer es am schnellsten löst, wird zur Queen bzw. zum King of the day gekürt. Klaus und ich vertreten unsere Nation gebührend – nachdem es mir gelingt, an zwei aufeinander folgenden Tagen zur Queen zu werden – gebe ich sodann meine Krone an Klaus ab, der daraufhin an zwei aufeinander folgenden Tagen King werden soll. Dann ist unsere Woche an der Sprachschule auch schon vorüber. Wir bekommen ein Zertifikat für unsere Teilnahme ausgehändigt – und werden in die Freiheit entlassen. Nicht ohne eine Abschiedsrede über unseren Aufenthalt in LA und an der ELC halten zu müssen. Wir sagen Goodbye. Goodbye von Lehrern und Mitstudierenden. Goodbye auch vom frühen Aufstehen.

 

Klaus und mein Verhältnis bleibt derweil durchwachsen bis angestrengt. Während es sich hier, in den Hollywood Hills, kurzfristig entspannte, wird es mit unserem nächsten Umzug kaum noch zu retten sein. Wir können einander nicht mehr ertragen. Gehen uns auf den Geist. Halten kaum noch die Anwesenheit des anderen aus. Es ist genug. Wirklich genug. Wir beide sehnen uns nach Abstand. Voneinander.

 

Erleichternd ausgewirkt in den Hills hat sich sicherlich auch die Tatsache, dass wir uns hier kein Doppelbett mehr teilen mussten. Das Kingsize-Bed ist einem Stockbett gewichen - ich schlafe unten, Klaus oben - und wir nehmen uns wohl kaum etwas in der Freude über die Tatsache separierter Schlafeinheiten.

 

Noch in Culver City will er mir wiederholt eines Abends ans Bein pinkeln – doch dieses Mal lasse ich es nicht zu. Lasse die Sendung schnurstracks und kompromisslos an ihren Absender zurückgehen - kann ich mich doch nicht als ihren rechtmäßigen Empfänger begreifen. Denn in dieser Situation weiß ich mit Gewissheit zu sagen, dass es an mir in diesem Moment nicht liegt. Und er nimmt seinen Angriff widerstandslos zurück.

 

Als er nämlich in die Casita zurückkehrt, in der ich friedlich am Tisch sitze, esse, trinke und schreibe - weht mit ihm eine Welle explosiver Aggressivität mit in den Raum hinein. Nachdem ich ihn frage, wie es ihm geht, ob er einen schönen Tag gehabt hat (ganz offensichtlich nicht) und ob es vielleicht etwas gäbe zwischen uns, das ich wissen müsste - spielt er seine geliebte Leier ab - dass er die Dinge eben sachlich sähe. Während er zeitgleich zum Angriff ansetzt. Ungerechtfertigt. Ich gebiete ihm Einhalt - und sage ihm auf den Kopf zu, dass er schlichtweg einer Illusion auferläge. Dass er nämlich dieselben glorreichen wie abgefuckten Gefühle in sich trage wie jedermann  – nur offensichtlich noch keinen geeigneten Umgang mit ihnen gefunden hätte. Geschweige denn Ausdruck. Er wird unversehens kleinlaut. Stimmt mir verhalten zu. Formuliert, dass ich damit unter Umständen recht haben könnte.

 

Am darauffolgenden Tag wird er nicht ein einziges Wort mit mir sprechen. Am übernächsten wiederum wird er wie verwandelt sein. Und letztlich wird uns all dies nicht davon abhalten, unser Verhältnis ein paar Tage später komplett gegen die Wand zu fahren. Wir haben einfach keinen Bock mehr.

 

So ferner Klaus mir rückt – so näher rückt mir Mark. Indessen ist er zu einer festen Größe in meinem Tagesablauf erwachsen - wir geleiten einander über den Tag hinweg – durch die Stunden hindurch - teilen Sms, Whatsapp, manchmal das Telefon - Gefühle, Erlebnisse und Gedanken miteinander. Wir erschaffen uns Zeitfenster über Ozeane, Zeitzonen und Kontinente hinweg – wenn er aufsteht, gehe ich schlafen – und wenn er zu Bett geht, beginnt bei mir gerade einmal die zweite Hälfte des Tages. Wir wachen gegenseitig über unseren Schlaf. Das letzte, was mir am Abend begegnet, ist er – das erste, was mich am Morgen begrüßt – ist er. Obgleich wir uns noch nie begegnet sind, ist er mir nah. Ich kann ihn fühlen. Und ich habe ihn immer dabei.

 

Längst befinden wir uns inzwischen auf einer eigenen Reise - und stellen uns die Frage, wo sie uns letztlich hinführen wird. Auf jeden Fall werden wir uns die Sache anschauen müssen und prüfen, ob es eine Zukunft für uns geben kann - über dieses definierte Zeitfenster - und über das Geistige, Seelische und Emotionale hinaus. Gleichfalls im Physischen. Das sind wir der Sache schuldig.

 

Daher haben wir beschlossen, einander zu begegnen. Eine Woche nach meiner Rückkehr.

 

In Paris.

 

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© 2o12, Saskia Katharina Krost