Wir haben unsere kleine Garden Casita im
Stadtteil Culver City inzwischen wieder verlassen – just in dem
Moment, in dem ich mich endlich imstande zeigte, mit dem Auto von
nahezu jedem Punkt in LA wieder zurück in die Hubbard Street zu
finden – und zwar ganz ohne drastische, gänzlich unfreiwillige
Schleifen und Kreise zu ziehen – und haben nun Quartier in den
Hügeln bezogen. Hier nun leben wir in den legendären Hollywood Hills
– mit unverstelltem Blick auf Hollywood Sign sowie
Hollywood-Reservoir auf der einen – und LA Downtown auf der anderen
Seite. Auf einem riesigen, wunderschönen Anwesen bewohnen wir ein
Appartment – irgendjemand hat hier Geld und zwar nicht zu knapp –
das ist sicher. Abends, wenn die Sonne sich hinabsenkt und
schließlich der Nacht und den Sternen den Himmel räumt, liegt einem
ganz LA zu Füßen – ein riesiger, breitflächiger Teppich – ein
glanzvolles, weites Lichtermeer. Eine riesige Terrasse lädt zum
Verweilen ein und dazu, die Gedanken schweifen zu lassen, während
man über den Dingen thront. Nicht zuletzt befinden wir uns in
etlicher prominenter Gesellschaft – Chris Brown besitzt direkt unter
uns in den Hügeln sein Anwesen und gewährt uns besten Einblick –
sein monströses, modernes Haus wird flankiert von einem halben
Dutzend fetter Schlitten – anfahrende und abfahrende Gäste können
von unserem Standort aus leichtens registriert und beobachtet werden
– und auch er selbst wird wohl ab & an in einem der Autos sitzen.
Weiterhin erzählen uns unsere Gastgeber immer wieder gerne, dass es
wohl möglich sei, von hier aus direkt in sein Schlafzimmer zu
schauen - und er sich auch hineinschauen ließe. Wilde Parties sollen
dort mitunter abgehen – aka Gelage. Klar, was meine nächste Anschaffung
folgerichtig sein wird – ein Fernglas natürlich. Ein paar Häuser
weiter wohnt Moby und auch Madonnas Anwesen ist von hier aus zu
erspähen – allerdings nicht einsehbar für uns.
Während ich indessen also bestens informiert
über unsere prominenten Nachbarn bin, habe ich zeitgleich keinen
blassen Schimmer, wo wir hier eigentlich gelandet sind – wer genau
wohl unsere Gastgeber sein mögen. Kreativschaffende - soviel wird
deutlich – und offensichtlich auch nicht ganz unerfolgreich, denn so
eine Location hat ihren Preis. Das geht nicht ohne Kohle. Und
dennoch: Irgendwas ist hier nicht ganz sauber. Die gesamte Zeit
unseres Aufenthalts über begleitet mich ein sonderbares Gefühl & es
fällt mir immer wieder schwer, meine Klarheit zu behalten - nicht
zuletzt ist ebenfalls Klaus verhältnismäßig deutlich neben der
Spur. Vielleicht ist es auch einfach das vielzitierte 'kreatives
Chaos', das an diesem Ort eine ganz neu dimensionierte
Begrifflichkeit erhält.
Als wir eintreffen, empfängt uns John, ein
schwarzer Musikproduzent sowie Freund des Hauses, der ebenfalls hier
lebt. Die Eigentümer sind ausgeflogen und kehren erst am Folgetag
zurück. John geleitet uns über das Anwesen, erklärt uns alles
Wissenswerte und Notwendige, präsentiert uns sein Studio – und wird uns
letztlich unseren gesamten Aufenthalt über an seinen laufenden
Kreativprozessen teilhaben lassen und mit seinen aktuellsten
Kompositionen beschallen. Ob wir wollen oder nicht. Und zwar laut.
Es gibt kein Entrinnen für uns - sein Studio grenzt direkt an unser Appartment. Lediglich eine
kaum schalldichte Rigipswand befindet sich zwischen uns.
Auch nach zwei Tagen bleibe ich allerdings immer noch ein mäßiger
Fan seiner Roherzeugnisse - wir machen uns inzwischen lustig über
sein Lalala. Dennoch scheinen durchaus abweichende Meinungen zu
existieren – eine kleine Nummer scheint hier niemand zu sein. Als
ich ihn am zweiten Tag nach unserer Ankunft in seinem Studio
aufsuche, um ihn zu fragen, ob er Rat mit meinem Netbook wüsste, zu
dem ich neuerdings keinen Zugang mehr bekomme, lungern zwei Mädels
auf der Couch in seinem Studio, er selbst sitzt am Mischpult und
widmet sich seinen Kompositionen – eine Flasche Whiskey steht auf
dem Schreibtisch. Es ist lichter Tag, aber sein Atem sowie
Flüssigkeitsstand in der geöffneten Flasche lassen freudigen Konsum
desselben wahrscheinlich wirken. Ein lebendiges, atmendes Klischee –
spannend. Amüsant. Und überhaupt - John wirkt kaum immer taufrisch.
Ich verspüre wenig Begierde zu erfahren, was er sich sonst noch so
einpfeift. Abgesehen vom Whiskey. Aber hey - vielleicht werden
wir ja einer seiner neuen Kompositionen demnächst in den Charts
begegnen. Und können dann behaupten, wir wären seine Musen und quasi live
bei der kreativen Geburt dabeigewesen. Und zwar derart live - dass wir es beinahe nicht aushalten
konnten.
Kuriose Dinge geschehen hier. Schnell
vermittelt sich mir der Eindruck, dass nicht nur John - sondern alle
hier irgendwelche Drogen konsumieren. Und zwar nicht geringfügig. Ein Eindruck,
der sich am Folgetag bestätigen soll. Als wir abends den Gastgeber
und seine Freundin, ein nur zurückhaltend mit Intelligenz
beeindruckendes Society-Girl (aber hey: sie ist echt nett!!), und
den dritten im Bunde, Arizona-Boy Jeff, helfende Hand und Assistent
seines Zeichens, kennenlernen sollen – sind die drei dicht wie ein
Eimer. Unglaublich. Begleitet vom Klischee-Kichern von Jackie,
Coreys Freundin, führen wir sehr inspirierende Gespräche. Nicht. Corey,
der Gastgeber, ist Clubbesitzer, wie sich herausstellen wird – er
besitzt Locations in LA und in Vegas – hieraus wird wohl auch sein
Reichtum gespeist. Sympathisch abweichend davon sein äußeres
Erscheinungsbild – lange Haare, locker, lässig, easy-going – er
wirkt direkt den 68ern entsprungen. Voller Stolz stellen sie uns an
diesem Abend ihre elektronische Wasserpfeife vor – deutsches
Fabrikat. Die beste, die sie jemals hatten - wie sie sagen. Ja, natürlich. Das ehrt
unsere Nation natürlich. Sieh' mal einer an: Wir können auch Gutes.
Ihrer
Einladung, dieselbe kurzum auf ihre formidable Praxistauglichkeit zu
testen, möchten wir allerdings kaum
nachkommen. Sie werden uns in den nächsten Tagen noch häufiger um
Gesellschaft bei ihren Sessions bitten. Aber wir werden konsequent
ablehnen. Was keiner weiß: Wir sind im Kampf gegen Drogen unterwegs.
Unseres Zeichens Abgesandte und Delegation. Und um die Wahrheit zu sagen: Keiner von
uns beiden hat Bock auf diesen Background. Noch damit etwas am Hut.
Nichtsdestotrotz werden wir nicht unangetastet
von der Atmosphäre in dieser Location bleiben: Ich weiß nicht, ob es
Dämpfe – oder schlicht energetische Schwingungen sind – unser
gesamter Aufenthalt hier wird chaotisch verlaufen. Klaus zerstört am
ersten Abend direkt die Keramik-Toilette – ich habe keine Ahnung,
wie er das hinbekommen hat – verspüre aber auch nur geringfügige
Lust, es in Erfahrung zu bringen, also frage ich nicht - und ich
habe mich derweil kurzfristig aus meinem Netbook ausgesperrt. Im
Versuch, mich ins hiesige Wi-Fi einzuloggen, muss ich mal eben
Benutzernamen und Passwort für mein Netbook angelegt haben -
allerdings ohne mein Wissen und Bewusstsein – folglich kenne ich
auch Benutzernamen und Passwort nicht. Mein Netbook bleibt ab hier
an - für den Rest des Urlaubs - für mich gesperrt.
Indessen Klaus also die nächsten Tage mit der
Reparatur einer Toilette beschäftigt sein wird – unter Assistenz des
Arizona-Boys Jeff - knie ich auf dem Fußboden und schreibe diese
Zeilen handschriftlich nieder. Ich werde meine Aufzeichnungen später
übertragen müssen – und erst in Deutschland publizieren können. Who cares.
Kehren wir also ins präcomputertechnische Zeitalter zurück - und
schreiben per Hand. In meinen Pausen assistiere ich bei
Toiletten-Reparaturen und lerne neue Vokabeln von Jeff. 'Mexican
shit' sowie 'Niggering' werden häufig im Rahmen der Toilettenreparatur
von ihm zu hören sein. Letztlich bauen wir im Zuge der
Reparatur nahezu das komplette Appartment neu. Grandios. Womit man
sich in den Hollywood Hills nicht so alles beschäftigt. Aber wir gewinnen
interessanten Eindruck. Besuchen mit Jeff den Hollywood-Baumarkt, an
dem sich Mexikaner gleich Nutten postieren und die man für 10 Dollar
die Stunde gleich miteinpacken kann – damit sie einem zum Beispiel
Häuser bauen. Toiletten reparieren. Or something like that. Zum
Dinner gibt es ein Drive-Thru, wir essen mit Jeff im Auto Fast-Food,
lassen die Ausdrucksweise der New Yorker von ihm als 'Goofy Talk'
bezeichnen, sind belustigt - und fahren sodann fort mit der
Toiletten-Reparatur.
Mulholland Drive, Hollywood Sign, Sunset
Boulevard, Rodeo Drive, Kodak Theatre, Walk of Fame, Beverly Hills - ich habe mich umgeschaut in den letzten Tagen. Bin wenig
beeindruckt von den ‘Hotspots’ dieser Stadt – wenn auch inzwischen
angekommen. Mit Leib und Seele. Aber ohne Herz. Alles wirkt sehr viel kleiner, niedriger
und
weitaus unspektakulärer als ich es mir vorgestellt habe - geprägt
von medialen Eindrücken. Die Innenstadt und die
verschiedenen Stadtviertel catchen mich kaum – meine Lieblinge
bleiben das Meer und die Küstenlinie – und nun auch die Hills. Ihre
Flora und Fauna. Es ist überwältigend, welche Natur sich unmittelbar an
die Innenstadt anschließt.
Vormittags besuchen wir unverändert die
Sprachschule - wir stehen jeden Tag um 6:30h auf, um uns spätestens
um 8h auf den Weg die Serpentinen der Hügel hinab, den Sunset
Boulevard hinunter und quer durch die Innnenstadt zu machen – bis hin zum
Wilshire Boulevard, wo sich unsere
Sprachschule befindet. Jeden Tag verbringen wir Ewigkeiten und
Stunden im
Verkehr, mit dem schlichtem Ziel und der Aufgabe, von A nach B zu gelangen.
Tatsächlich scheint permanent Rush-Hour zu
sein - Unmengen von Traffic wälzen sich die Highways und Freeways
entlang - noch dazu erstreckt sich diese Stadt mehr in die Breite
als in die Höhe - dadurch werden die Wege weit in LA. Weit und
schier endlos. Kaum, dass man sich versieht, ist ein Tag vorüber – und man
hat doch kaum etwas vermocht, als eine überschaubare Strecke zu
überwinden.
Die Sprachschule hingegen ist eine sehr lohnende
Erfahrung. Wenngleich eine Woche für kaum mehr ausreichen soll, als sich
einen ersten Eindruck sowie eine Meinung zur Sache zu
bilden. Es ist meine erste Begegnung mit dieser Möglichkeit des
Spracherwerbs – und ich halte es inzwischen für eine phantastische
wie gleichermaßen effektive Möglichkeit hierfür. Hinzu gesellen
sich etliche positive Nebeneffekte – durch das internationale Feld,
in dem man sich hier zwangsläufig bewegt, hat man schnellstens sehr
viele Kontakte und lernt sehr viel über
die unterschiedlichsten Kulturen – nicht zuletzt kommt man mit
unterschiedlichsten Backgrounds und Menschen in Kontakt. Insbesondere lieben lerne ich die Conversation Class
mit Chris, einem hochintelligenten, gut
informierten, aufmerksamen, schauspielerisch begabten und sehr humorvollen Lehrer, der den
Unterricht leichtens in echte Quality Time verwandelt. Ich lerne ihn sehr schätzen. Ebenso wie die knapp 2h, die wir jeden Tag mit ihm
verbringen. Saudis sind in unserer Klasse, Schweizer, Franzosen und eine Kolumbianerin. Und
alle erzählen tagtäglich etwas zu den Gebräuchen und Koventionen
in ihrem jeweiligen Heimatland – es ist bereichernd und spannend, jeweiligen Usus
miteinander zu vergleichen. Während wir uns mit Nachrichten
beschäftigen, miteinander in Austausch kommen, Vokabeln und
Grammatikalisches lernen, gibt Chris uns mit Beginn jeden Tages
weiterhin ein sogenanntes 'Riddle' zu lösen – ein Rätsel, das
Kombinationsgabe von einem verlangt - wer es am schnellsten löst, wird zur Queen bzw.
zum King of the day gekürt. Klaus und ich vertreten
unsere Nation gebührend – nachdem es mir gelingt, an zwei aufeinander folgenden Tagen
zur Queen zu werden – gebe ich sodann meine Krone an
Klaus ab, der daraufhin an zwei aufeinander folgenden Tagen King werden
soll. Dann
ist unsere Woche an der Sprachschule auch schon vorüber. Wir
bekommen ein Zertifikat für unsere Teilnahme ausgehändigt – und
werden in die Freiheit entlassen. Nicht ohne eine Abschiedsrede über unseren Aufenthalt in LA und an der ELC halten zu müssen. Wir
sagen Goodbye. Goodbye von Lehrern und Mitstudierenden. Goodbye auch
vom frühen Aufstehen.
Klaus und mein Verhältnis bleibt derweil durchwachsen
bis angestrengt. Während es sich
hier, in den Hollywood Hills, kurzfristig entspannte, wird es mit
unserem nächsten Umzug kaum noch zu retten sein. Wir können einander
nicht mehr ertragen. Gehen uns auf den Geist. Halten kaum noch die
Anwesenheit des anderen aus. Es ist genug. Wirklich genug. Wir beide
sehnen uns nach Abstand. Voneinander.
Erleichternd ausgewirkt in den Hills hat sich
sicherlich auch die Tatsache, dass wir uns hier kein Doppelbett mehr
teilen mussten. Das Kingsize-Bed ist einem Stockbett gewichen - ich
schlafe unten, Klaus oben - und wir nehmen uns wohl kaum etwas in
der Freude über die Tatsache separierter Schlafeinheiten.
Noch in Culver City will er mir wiederholt eines Abends ans Bein
pinkeln – doch dieses Mal
lasse ich es nicht zu. Lasse die Sendung schnurstracks und
kompromisslos an ihren Absender zurückgehen - kann ich mich doch nicht als
ihren rechtmäßigen Empfänger begreifen. Denn in dieser Situation
weiß ich mit Gewissheit zu sagen, dass es an mir in diesem Moment
nicht liegt. Und er nimmt seinen Angriff widerstandslos zurück.
Als er nämlich in die Casita zurückkehrt, in
der ich friedlich am Tisch sitze, esse, trinke und schreibe - weht
mit ihm eine Welle explosiver Aggressivität mit in den Raum hinein.
Nachdem ich ihn frage, wie es ihm geht, ob er einen schönen
Tag gehabt hat (ganz offensichtlich nicht) und ob es vielleicht
etwas gäbe zwischen uns, das ich wissen müsste - spielt er seine
geliebte Leier ab - dass er die Dinge eben sachlich sähe. Während er
zeitgleich zum Angriff ansetzt. Ungerechtfertigt. Ich gebiete ihm
Einhalt - und sage ihm auf den Kopf zu, dass er schlichtweg einer
Illusion auferläge. Dass er nämlich dieselben glorreichen wie abgefuckten Gefühle in sich trage
wie jedermann – nur offensichtlich noch keinen
geeigneten Umgang mit ihnen gefunden hätte. Geschweige denn
Ausdruck. Er
wird unversehens kleinlaut. Stimmt mir verhalten zu.
Formuliert, dass ich damit unter Umständen recht haben könnte.
Am darauffolgenden Tag wird er nicht ein
einziges Wort mit mir
sprechen. Am übernächsten wiederum wird er wie verwandelt sein. Und letztlich wird uns all dies nicht davon
abhalten, unser Verhältnis ein paar Tage später komplett gegen die
Wand zu fahren. Wir haben einfach keinen Bock mehr.
So ferner Klaus mir rückt – so näher rückt mir
Mark. Indessen ist er zu einer festen Größe in meinem Tagesablauf
erwachsen - wir geleiten einander über den Tag hinweg – durch die
Stunden hindurch - teilen Sms, Whatsapp, manchmal das Telefon - Gefühle,
Erlebnisse und Gedanken miteinander.
Wir erschaffen uns Zeitfenster über Ozeane, Zeitzonen und
Kontinente hinweg – wenn er aufsteht, gehe ich schlafen – und
wenn er zu Bett geht, beginnt bei mir gerade einmal die zweite
Hälfte des Tages. Wir wachen gegenseitig über unseren Schlaf. Das letzte, was mir am Abend begegnet, ist er –
das erste, was mich am Morgen begrüßt – ist er. Obgleich wir uns
noch nie begegnet sind, ist er mir nah. Ich kann ihn fühlen. Und ich
habe ihn immer dabei.
Längst befinden wir uns inzwischen auf einer
eigenen Reise - und stellen uns die Frage, wo sie uns letztlich
hinführen wird. Auf jeden Fall werden wir uns die Sache anschauen
müssen und prüfen, ob es eine Zukunft für uns geben kann - über
dieses definierte Zeitfenster - und über das Geistige, Seelische und
Emotionale hinaus. Gleichfalls im Physischen. Das sind wir der Sache
schuldig.
Daher haben wir beschlossen, einander zu
begegnen. Eine Woche nach meiner Rückkehr.
In Paris.