16th March | 8:00h


 

Mein Reisepartner und ich haben gestern Abend noch telefoniert - Online-Check-In und Sitzplatzreservierung vorgenommen, einiges Organisatorische besprochen, Gepäckinhalt & -gewicht abgeglichen und viel gelacht. Das hat mir viel meiner unangenehmen Aufregung genommen - und wieder mehr Zuversicht verschafft. Dennoch habe ich nicht gut geschlafen heute Nacht. Tatiana, das kleine spanische Kätzchen, hat auf mir genächtigt - und jede meiner Bewegungen solidarisch und geduldig mit mir vollzogen. Vermissen werde ich meine Katzen. Aber ich bin zu sehr in Erwartung, als dass ich tiefen Schlaf finden konnte.

 

Demnach fühle ich mich recht müde gerade. Aber egal. Das kommt dem Jetlag eventuell entgegen. Heute Abend werden wir bereits in NY sein - und unser Tag wird heute 5 Stunden länger sein. Ein zeitlicher Zugewinn, der sich maximieren wird, während wir die Zeitzonen durchfahren - und am Ende der Reise, mit Rückkehr in unsere Heimat, wieder seinen Ausgleich finden wird.

 

Mein Flug geht um 14h. Gegen 15h Ortszeit werde ich in London sein. Klaus wird London etwas früher erreichen. Wir haben vereinbart, dass er versuchen wird, mich zu empfangen. Ein Moment, vor dem mir immer noch graut. Der Moment der Begegnung.

 

Aber ich weiß, dass dieses Unbehagen sich schnell auflösen wird. Das habe ich im Gefühl. Dennoch schmälert das meine Aufgeregtheit nicht.

 

Ich habe das Bordprogramm bereits studiert - British Airways - berühmt dafür, kaum Filme in deutscher Fassung zu zeigen. Tatsächlich habe ich bisher auch noch keinen gefunden. Englisch, Chinesisch, Japanisch, Arabisch - ich habe die wundersame Wahl. Es wird wohl auf Englisch hinauslaufen...

 

Dafür haben sie Twilight im Programm. I love it. Twilight hat mir den Flug vor zwei Jahren nach Seattle sehr versüßt. Angesichts der Tatsache, dass British Airways bekannt dafür ist, kaum deutsche Sprachfassungen zu zeigen, entschied ich mich letztes Wochenende dafür, mir den letzten Teil von Twilight noch vor Reisebeginn anzusehen. Ich war noch nicht dazu gekommen. Schön, dass ich ihn nun bereits in meiner Muttersprache sehen durfte - das macht die englische Version für mich attraktiver. Und falls mir langweilig werden sollte, nehme ich einfach chinesische, japanische oder arabische Untertitel hinzu... Während ich mein hinduistisch-vegetarisches Mahl verspeise. Mir ein Kopftuch aufsetze. Und dazu jodele. Kleiner Scherz.

 

Weiterhin werden wir im Flieger erst einmal eine Sightseeing-Tour für NY entwerfen. Bis jetzt haben weder er noch ich einen blassen Schimmer, was wir uns anschauen wollen. Beruhigend, dass er den Besuch dieser Metropole genauso entspannt - ich möchte fast sagen genauso planlos - angeht, wie ich...

 

Mein einziger Wunsch für diese Stadt ist der Besuch von Ellis Island - dem Ort im Hafengebiet von New York, wo lange Zeit die Einwanderer erstmals amerikanischen Boden betraten - im Gepäck ihre Hoffnungen, Mut zum Aufbruch, eine Idee von Freiheit, neuen Möglichkeiten & Zukunft.

 

Dorthin zieht es mich sehr.

 

Ich hoffe, dass sich dies verwirklichen lässt. Im Gegenzug darf sich mein Reisepartner ein Ziel wünschen. Was den Rest dieser Stadt betrifft, bin ich ziemlich leidenschaftslos. Seine Freiheit.

 

NY - wir sind auf dem Weg!!

 


 

 

16th March | 14:45h


 

Ich sitze im Flieger nach London. Seitdem ich weiß, dass es nun losgeht, geht es mir besser. Kaya, mein Mitbewohner, hat mich zum Flughafen gebracht. Im Auto überkam mich unverhofft eine tiefe Traurigkeit und ein Sturzwall von Tränen brach aus mir hervor. Der nahezu die gesamte Fahrt über nicht versiegen wollte. Mir kam meine letzte USA-Reise in den Sinn. Dass wir damals zu zweit gewesen waren. Und dass ich nichts hätte dagegen gehabt hätte, wenn dies auch jetzt so wäre. Zeitgleich muss ich mich erstaunt darüber zeigen, festzustellen, wie tief die Trauer und der Schmerz immer noch sitzen. Das war mir nicht bewusst. Es wurde mir hier gewahr. Im Verein mit der Erkenntnis, dass mir diese Trauer unter Umständen auf der  Reise immer einmal wieder begegnen könnte. Dass sie mit im Gepäck  sitzt.

 

Ich werde an vielen Plätzen weilen, die ich bereits vor zwei Jahren besuchte. Damals noch in anderer Begleitung. Grand Canyon, Vegas, Venice Beach - wird mich an jedem dieser Orte die Erinnerung und Trauer berühren? Ich hoffe es nicht. Es würde mir sehr leidtun für Klaus, meinen Reisepartner.

 

Zwar legt mir Kaya legt ans Herz, dieser Trauer Raum zu geben. wahrhaftig zu sein. Authentizität zuzulassen. Mir hingegen ist die Vorstellung unangenehm, im Zweifelsfall einen Unbeteiligten unverdienterweise miteinzubeziehen. Aber ich weiß auch, dass diese Gefühle sich gegebenenfalls ihren Weg bahnen werden. We will see.

 

Diese Reise soll sein – sie ist geführt und geleitet von höherer Kraft. Das fühle ich tief in mir. Soviel Magie wohnt ihr inne, Zauber, Weisheit und Zusammenführung, dass ich gar nicht anders kann, als mich diesen Tatsachen hinzugeben. Dieser Reise. Welche Intention auch immer ihr innewohnt. Ich werde es erfahren.

 

In diesem Moment, in dem ich hier nun im Flieger sitze – auf dem Weg nach London – fühle ich tiefe Ruhe, Stille und eine essentielle Leere in mir. Ich fühle mich in diesem Moment wie ein immerwährender Ruhepol im Universum – weit, groß und offen – der buchstäblich über seinem Leben schwebt – auf es hinabsieht - wahrnimmt -  ohne zu bewerten – ohne zu richten - ohne sich mit irgendetwas zu identifizieren – ohne zu empfinden. Gleich einem leeren Gefäß, das lediglich empfängt.

 

Arne Friedrich sitzt mit im Flieger. Und war zeitgleich mit mir am Check-In. Schamlos habe ich ihn gefragt, ob ich ihn fotografieren dürfte. Why not. Ein attraktiver Kerl. Hatte ich länger nicht vor der Linse… Während er einwilligte, schämte sich Kaya indessen an meiner Statt. Und zwar in Grund und Boden. Aber hey: Herr Friedrich wird begleitet von einem Kamera- & Fotografenteam – das ihn fortwährend filmt - folglich bin ich auf seinem Bildmaterial inzwischen ebenfalls verewigt. Und: Er hat mich nicht gefragt!! Wer muss sich also schämen….?!

 


 

 

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16th March | 22:00h


 

Ich sitze im Flieger nach New York. Noch 6h Flugzeit. Mir ist eng. Mir ist unbequem. Und British Airways ist Bullshit. Mein Tisch ist kaputt. Ich bin eingequetscht – und mein kleiner Fernsehbildschirm lässt sich in keinen Winkel einstellen, in dem ein Bild für mich erkennbar wird. Vor allem nicht bei Twilight. Mir war nie aufgefallen, dass der Film vorwiegend im Dunkeln spielt. Jetzt schon. Ton habe ich indessen auch nur mangelhaft, mein Kopfhöreranschluss hat nämlich einen Wackelkontakt. Und um diese Zeilen schreiben zu können – und außerdem keinen Wutausbruch zu erleiden – habe ich inzwischen meine Füße über die Beine meines Sitznachbarn – in diesem Fall meines Reisepartners – ausgestreckt – auf sein so hilfreiches Angebot hin - und bin mir zeitgleich nicht sicher, ob das didaktisch klug ist. Klaus schläft. Ich leide.

 

Denke sehnsuchtsvoll an meinen transatlantischen KLM-Flug zurück. Aber das hilft jetzt nicht. Und es gibt wahrlich Schlimmeres. Immerhin der Blick von meinem Fensterplatz hinaus in die Weiten des Himmels ist grandios. Allerdings die einzig merkliche Weite gerade. Am Firnament der Sonnenuntergang. Und als wir beim Abflug London immer kleiner unter uns werden ließen, bewegten sich die Autos mit ihren Scheinwerfern mehr und mehr wie langsam fließende, glühende Lava durch die Landschaft. Bevor wir die Wolkendecke durchbrachen – und irgendwann nur noch eine weiße, flauschige Watteschicht unter uns hatten. Wunderschön.

 

Die Begegnung ist erfolgt. Und ich bin durcheinander. Fakt ist schon mal: Er ist nicht mein Typ. Und er wird es auch nicht werden. Im Sinne einer körperlichen Anziehungskraft jetzt. Aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist: Ich bin über diese Tatsache enttäuscht. Und das, obgleich ich in Vorbereitung dieser Reise immer wieder wie felsenfest behauptet hatte, dass es mir darum nicht ginge. Dass ich das gar nicht wolle.

 

Hier habe ich nun, was ich behauptet wollte. Weshalb bin ich also enttäuscht? Ich weiß es nicht.

 

Ich weiß überhaupt nicht mehr, worum es geht. Bei mir. Bei dieser Reise. Und überhaupt. Ich habe keine Klarheit.

 

Und hoffe einfach nur noch, dass ich mich im richtigen Film befinde. Und nicht im falschen Kino sitze. Aber eigentlich kann das nicht sein.

 

Was also ist mit mir los? Warum zweifle ich derart?

 

Ist der Traum vom tapferen Ritter auf dem weißen Schimmel etwa immer noch nicht ausgeträumt? Habe ich so wenig gelernt in den letzten Jahren? Oder ist die Hoffnung durchaus berechtigt, kleinere oder auch etwas größere Heilung, Erlösung und Unterstützung durch ein passendes Gegenüber zu erfahren?

 

Und warum beschäftigen mich diese Gedanken jetzt?

 

Ich habe keinen blassen Schimmer. Es scheint in irgendeiner Weise mit dieser Reise zu tun zu haben. Aber eben offenbar nicht in jener Art, hier und jetzt nun Erfüllung zu finden. Sondern vielmehr im Erhalt einer Chance, Klarheit über meine wirklichen Bedürfnisse zu erlangen. Um sie hiernach zu den Richtungsgebern meiner Wirklichkeit zu erheben.

 

Während ich Flugmeile um Flugmeile mehr Abstand zu meinem Leben gewinne, wird mir gewahr, wie wenig mich derzeit hält in dieser Gegenwart. Ich halte – dieses und jenes – meine mir verbliebenen Herzensgüter – und dies nicht selten aus einem Gefühl tiefer Verlustängste heraus – der Angst, noch mehr – auch dieses und jenes noch zu verlieren. Aus diesem Grund halte ich. Halte fest.

 

Und finde indessen keine Antwort auf die Frage: Wer oder was hält mich?

 

Ich weiß es nicht. Ich weiß es gerade wirklich nicht.

 

Aber ich wünsche mir, dass mich wieder etwas hält.

 

Vielleicht finde ich es hier. Über den Wolken.

 

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© 2o12, Saskia Katharina Krost