17th March
New York ist cool. Und krank. Wie alle Großstädte. Die Menschen sind
cool. Und krank. Wie in allen Großstädten. Aber die New Yorker sind
um einiges cooler als andere Städter. Das gefällt mir. Sogar die
Rollstuhlfahrer sind hier lässig – und lassen ihr Handicap mitunter
wie Skateboarding wirken – so dass man nahezu Lust bekommt, dieses
Sportgerät ebenfalls auszuprobieren.
Auch ich bin dem Reiz dieser Stadt erlegen. New York ist eine
unwiderstehliche Lady mit ausgeprägtem Charme. Ich würde es lieben
und hassen, hier zu leben. Menschen, Geräusche, Gerüche – von allem
viel und reichlich – noch um etliches potenzierter als in der
Heimat. Reize, die für mich schnell zur Überflutung geraten. Ich
kann mich schlecht abschirmen. Nehme alles parallel wahr. Sehe nicht
die Menschenmasse, sondern jedes einzelne Individuum. Während es an
mir vorüberzieht. Höre, rieche, spüre, empfinde - von allen Seiten,
offen und ungeschützt. Einer der Gründe, weshalb ich Menschenmengen
für diesen Moment schlecht ertrage. Sie strengen mich an.
Ellis Island, Statue of Liberty, Ground Zero, Washington Square
Place, Broadway, Fifth Avenue, Broadway, Wall Street, Times Square,
Rockefeller Center, Central Park (zumindest im Dunkeln & vom Eingang
aus). Das Empire State Building haben wir leider übersehen, obwohl
wir direkt daran vorbeimarschierten - wir wissen zwar nicht, wie das
passieren konnte, erklären es uns aber durch seine offensichtliche
Unspektakularität… Gerade einmal 10km sollen es gewesen sein, die
wir an diesem Tag gelaufen sind – meine Füße berichten von der
Strecke eines Marathons. Zuletzt dachte ich, sie würden mir komplett
den Dienst versagen. Während Klaus von Schwindelgefühlen und kuriosen
Wahrnehmungsverschiebungen sprach, schmerzten mir meine Füße
unendlich. Wir überlegten bereits, uns ein Taxi zurück ins Motel zu
nehmen – bahnten uns dann aber doch den Rückweg durch den
Underground der City – mit der Metro.
Ein Teil der Erschöpfung hierbei ist sicherlich dem mangelnden
Schlaf geschuldet. Indessen ich wie ein Stein durchgeschlafen hatte
– dies allerdings lediglich 4h, da wir erst nachts im Motel
eintrafen – das Straßensystem New Yorks und die mittelfristige
Annahme eines Handyverlusts hatten uns aufgehalten – hatte Klaus in
der Nacht kein Auge zugetan. Das Handy fand sich am nächsten Morgen
wieder. Aber der Schlaf ließ sich natürlich nicht rekonstruieren.
Und Klaus war nun seit gefühlten Äonen auf den Beinen.
St.-Patricks-Day fiel exakt auf unseren Besuch, was die Stadt noch
quirliger, bunter und lauter werden ließ – überall liefen grüne,
feiernde Menschen umher.
Ergo: New York war voller Eindrücke, Inspirationen & Lebendigkeit.
Aber echt anstrengend.
Unser Zusammensein gestaltet sich währenddessen sehr entspannt. Ich
kann ganz ich selbst sein. So sehr ich selbst, wie ich es lange
nicht mehr war. Denn: Ich muss niemandem gefallen. Ich finde langsam
zu mir zurück. Das ist ein echtes Geschenk.
Dies auch der Grund, weshalb ich inzwischen versöhnt bin mit der
Tatsache, dass hier nun nicht mein Ritter vor mir steht. Denn in
dieser Situation hätte das Zwischenmenschliche auf eine ganz andere
Weise als auch eine außerordentliche Rolle gespielt. Mein Fokus
hätte viel mehr auf meinem Gegenüber als auf mir selbst gelegen. Ich
hätte Unsicherheiten entwickelt. Mich mit einem anderen beschäftigt.
Mit seinen Urteilen und Bewertungen. Wäre abgelenkt gewesen.
Aber hier nun ist die Reise an der Reihe. Bin vor allem ich an der
Reihe. Der Rest wird folgen. Aber eben folgen. Und nicht vorgehen.
Klaus kooperiert maximal. Gerät nie aus der Ruhe. Hört an keiner
Stelle auf zu kooperieren. Kämpft nicht. Toleriert alle meine Launen
und Gesichter. Die ganze Bandbreite meines Seins darf existieren.
Nichts wird bewertet, nichts beurteilt – und wenn, dann zu meinen
Gunsten. Wohlwollend. Rücksichtsvoll. Somit bleibe allein ich der
Richter über mich selbst. Die einzig korrektive Instanz.
Interessant.
Und ich darf ganz Frau sein. Facettenreich. Irrational.
Unverständlich. Launisch. Stark. Schwach. Alles, was ich möchte. Was
ich fühle. Was ich bin.
Ich lerne viel über mich.
Es ist heilsam.
In diesem Moment sitzen wir beim Frühstück im Motel, der
unverzichtbare Fernseher im Frühstücksraum spuckt dramatisch
inszenierte Bilder und Nachrichten aus. Untermalt von amerikanischen
Sprachmelodien. Ich liebe es. So sehr.
Ich bin angekommen.