21st March
Nicht nur eine, wie vorgesehen,
sondern zwei Übernachtungen in Niagara Falls haben wir uns gegönnt.
Um uns etwas Ruhe zu verschaffen. Zu verarbeiten. Neue Kräfte zu
sammeln. Die Seele nachreisen zu lassen.
Viele Eindrücke waren es in den
letzten Tagen, viele Etappen, viele Ziele – und nicht zuletzt finden
wir uns hier nun an einem 'strategischen Eckpunkt' unserer Reise –
als nächstes werden wir die Ostküste verlassen und den Kontinent
überqueren - einmal quer von Ost nach West. Gleich den einstigen
Siedlern werden wir gen Westen ziehen.
In den folgenden Tagen wird es daher
vor allem hierum gehen: Strecke zurückzulegen. Entfernungen zu
überwinden.
Erschöpft bin ich. Nicht zuletzt
deshalb war es mir ein besonderer Wunsch, eine kurze Zwischenrast
einzulegen. Mich zu sammeln und durchzuatmen. Bevor es dann
weitergehen wird.
Wir haben ein hübsches Super 8-Motel
in Niagara Falls ausgemacht – und ein großes, sehr schönes Zimmer
erhalten, welches wir nun für 2 Nächte bewohnen dürfen.
Anschließend wird es weitergehen nach Chicago.
Maximal gereizt war ich, als wir
gestern zu fortgeschrittener Stunde endlich in Niagara Falls
eintrafen. Wir hatten mit Einbruch der Dämmerung die Plätze
gewechselt, ich das Steuer übernommen und war Stunden durch die
Dunkelheit gefahren. Während Klaus sich verdient erholte und
eingeschlafen war, kämpfte ich mich Meile um Meile durch die Nacht.
Stockduster ist es mitunter auf
manchen Highways nach Anbruch der Dunkelheit. Endlose Fahrten
führen durch einsame Landschaften und kleine bis größere
Besiedlungen - zumeist ganz ohne Beleuchtung am Straßenrand. Und
nicht selten findet man sich quasi alleine auf den Straßen.
Ich fuhr weit unter dem Tempolimit –
da ich die Hand vor Augen nicht erkennen konnte und jede andere
Weise ein Sicherheitsrisiko dargestellt hätte. Zumal ich den
Straßenverlauf nicht kannte. Erleichternde Momente, wenn uns ein
anderes Fahrzeug passierte, mich überholte – und ich mich
anschließend an seine Fersen heften konnte. Über lange Strecken ließ
ich mich auf diese Weise 'ziehen'. Und dennoch benötigte ich für das
Fahren meine volle Konzentration. Als Klaus kurz vor dem Erreichen
unseres Ziels wieder aufwachte und mich ansprach, fand ich nur noch
kurze, knappe Antworten und gereizte Kommentare. Für mehr fehlte mir
die Energie und Kraft.
Als wir im Motel eintreffen, bin ich
nur noch froh, dass wir unser Ziel endlich erreicht haben und
will nur noch eines: Ein Bier, Ruhe und ins Bett. Und zwar besser
jetzt als gleich.
Mein Pech, dass wir an einen
Rezeptionisten gelangen, der zwar wirklich zugewandt, nett und
freundlich, aber gleichfalls der Sorte 'besonders redselig' ist. Auch
sein Begriff von 'Arbeitsplatz' scheint eher flexibel gehandhabt -
jedes Mal, wenn er Dienst hat, beibt die Rezeption weitgehend
unbesetzt - und man wartet mehr oder minder geduldig darauf, dass
jemand an der Rezeption sichtbar wird. Insgeheim taufe ich ihn
'John, die kleine Schnarchnase & Labertasche'.
Und auch jetzt scheint es ihm weitaus
besser zu gefallen, sich mit uns zu unterhalten - als unser Check-In
zu einem (mich) beglückenden Abschluss zu bringen.
So stehen wir hier nun also an der
Rezeption und Klaus ist inzwischen damit beschäftigt, dem Rezeptionisten Deutsch beizubringen. Fabelhaft. Doch die Intensität
der Lehrstunde steigert sich noch, Nach einer Weile werden Sätze
auf Zettel geschrieben und auf Dinge gedeutet und nach deren
Bezeichnung gefragt. Wir befinden uns offensichtlich bereits im
Fortgeschrittenen-Level. Einer begeisterter als der andere - Schüler
und Lehrer übertreffen sich gegenseitig im Auftun von neuen
Vokabelbereichen. Indessen ich denke, dass ich jeden Moment
hintenüber kippen und ohnmächtig zu Boden sinken werde.
Langsam werde ich zudem wirklich
ärgerlich. Ich meine - hatte ich nicht bereits die ganze Zeit über
artikuliert, wie fertig ich war? Und jetzt stehe ich hier an der
Rezeption und muss einer spätabendlichen German-Lesson beiwohnen.
Eine Weile mache ich gute Miene. Dann gewinnen mein Ärger und meine
Müdigkeit allerdings endgültig die Oberhand, ich unterbreche die
Lehrstunde abrupt und harsch - und bitte um den Roomkey. Sage zu
Klaus,
dass ich überhaupt nichts dagegen habe, wenn er sich noch
unterhalten wolle - aber dass ich jetzt aufs Zimmer müsse. Bei mir
sei Schicht.
Letztlich hatte ich den
Deutschunterricht damit gesprengt und das unhöfliche Weib gemimt.
Meine Paraderolle. Mein Fehler. Ich hätte einfach früher agieren
sollen - dann wären meine Worte sicherlich sanfter ausgefallen.
Umgekehrt ärgerte es mich, dass niemand mitbekommen hatte, wie es um
mich bestellt gewesen war.
Als Klaus im Zimmer eintrifft, fragt er
mich, ob alles gut sei. Ich entgegne, dass überhaupt nichts gut
sei - denn es wäre super spät, ich wäre vollkommen überreizt - und
Bier hätte ich auch immer noch keines. Er sagt: 'Na, dann holen wir
halt welches!' - woraufhin meine Entgegnung sein soll: 'Ich hole heute
überhaupt nichts mehr.' Spätestens an dieser Stelle bin ich nun
ansonsten gewohnt, dass ein Streit ausbricht. Was mich auch nie
wundert - bei dem Ton, den ich an den Tag lege. Tatsächlich bin
ich in solchen Momenten ja auf Krawall gebürstet - provoziere einen
Streit - um ein Ventil für meinen Ärger zu finden.
Klaus aber fängt nicht an, sich mit mir
zu streiten - sondern erwidert: 'Dann kommst du jetzt in Ruhe an -
und ich besorge dir ein Bier.'
Diese Worte lassen meine Schutzwälle
kurzum wie ein Kartenhäuschen in sich zusammenfallen. Ich bin
berührt angesichts dieser Fürsorge - und kann nun bemerken, wie
schwach und angreifbar ich mich gerade eigentlich fühle. Nicht nur,
dass ich es fühle - ich kann es auch zulassen und offenlegen.
Denn scheinbar muss ich mich nicht schützen. Das ist schön.
Nachfolgend verleben wir einen
wunderschönen, entspannten Tag an den Niagara-Fällen. Ursprünglich
hatten wir eigentlich geplant, nach Kanada hinüberzufahren - von
kanadischer Seite aus ist der Blick auf die Falls um einiges
spektakulärer und ungehinderter. Aber es wird einem allerorts
dringend davon abgeraten, die Grenze nach Kanada zu passieren -
da es Probleme mit der Wiedereinreise in die USA geben kann - und
zudem nervige, bürokratische Akte auf einen warten - darauf wollen
wir lieber verzichten. Folglich begnügen wir uns mit den 'American
Falls' auf amerikanischer Seite.
Die Niagara-Falls sind ein gelungenes
Beispiel perfekten Marketings. Insbesondere Flitterwöchner sind eine
beliebte Zielgruppe für diverse Attraktion und umliegende Hotels
rund um die Niagara Falls geworden. Beeinflusst von dem, was ich
bisher von ihnen mitbekommen hatte, waren die Niagara-Fälle in
meiner Vorstellung gigantisch, phantastisch, monströs - ein
Mega-Event.
Und wie empfinde ich sie nun wirklich?
Um es mit Oscar Wilde zu halten: 'Die Fälle sind die zweitgrößte
Enttäuschung im Leben Jungvermählter.'
Ohne Frage, die Falls sind wirklich
zauberhaft. Aber eben nur halb so gigantisch, wie ich sie mir
vorgestellt hatte. Denn gigantisch ist dank entsprechender
Vermarktung wohl vor allem eines: Die Erwartungshaltung.
Nach dem Besuch der Niagara Falls,
einem mehrstündigen Walk über das Gelände um ihn herum und einem
informativen Film im Visitors Center, kehren wir ins Motel zurück,
essen etwas, ruhen uns aus, ich schreibe sodann und Klaus geht derweil shoppen.
Als wir die Niagara Falls am Abend
dann erneut besuchen - springt der Funke doch noch über. Die Fälle
werden allabendlich aufwendig illuminiert - was eine ganz besondere
Magie erzeugt. Es ist dunkel, außer uns ist kaum noch jemand
unterwegs und wir haben die Niagara Falls quasi für uns alleine.
Auf der kanadischen Seite blinken die Leuchtreklamen der Hotels und
Attraktionen - es ist ein wunderschönes, faszinierendes Schauspiel.
Wir durchlaufen nochmals die gesamte
Anlage, diesmal im Dunkeln.
Anschließend suchen wir uns einen Supermarket, um unseren Lebensmittelvorrat zu ergänzen. Und
gehen dann ins Bett.
Morgen geht es nach Chicago - wir
haben eine lange Fahrt vor uns.