24th March
Wir haben einen Kacktag hinter uns. Kackstrecke. Kackorte.
Kacklaune.
Obgleich der Tag recht vielversprechend begann - er sollte sich
nicht in selber Weise fortsetzen.
Gut geschlafen habe ich, sehr tief, friedvoll und mit klaren Träumen
- und schiebe dies auf die Tatsache, dass die Gegenden hier dünn
besiedelt sind. Weniger Menschen - sind gleich weniger Gedanken -
sind gleich geringerem 'gedanklichen Funkverkehr' - das verschafft
Ruhe. Und zentriert. Zumindest habe ich diese Erfahrung für mich
gemacht.
Wir haben ein Super 8 aufgetan, das der Einrichtung nach noch aus
den 70er-Jahren zu stammen scheint - und das scheint auch für die
Überdecke zu gelten - ich habe das erste Mal seit unserer Ankunft
regulär unter dem Laken geschlafen - und nicht allein die Überdecke
zum Zudecken benutzt - wie sonst.
Als weitere Besonderheit und wohl
geringfügige architektonische Glanzleistung befindet sich das
Waschbecken dieses Mal nicht im Badezimmer - sondern davor. Und
somit quasi mitten im Zimmer. Und mit ihm auch der einzige Spiegel.
Ganz sicher bin ich nicht am Frohlocken im Hinblick auf den nächsten
Morgen, wenn es darum gehen würde, Spiegel und Waschbecken zu
benutzen - gegebenenfalls unter den Augen von Klaus. So weit
sind wir dann doch noch nicht.
Aber es bleibt mir erspart.
Als Klaus am nächsten Morgen geduscht,
sich fertiggemacht und das Waschbecken benutzt hat, sagt er zu
mir - und ich zitiere wortwörtlich: 'Ich werde jetzt zum Frühstücken
gehen. Dies gibt dir somit die Gelegenheit, das Waschbecken in
intimer Weise für dich zu nutzen.'
Wow. Was für ein Satz. Ich liebe
Sätze, die man sich kurzum ausdrucken - und an die Wand heften
will.
Und wow. Es scheint tatsächlich ein Gentleman,
mit dem ich hier unterwegs bin. Ein Umstand, den ich mehr und mehr zu
schätzen lerne. Denn es erlaubt Frausein.
Nach dem Frühstück lassen wir uns Zeit und schöpfen die
Check-Out-Time bis auf letzte aus - ich schreibe, Klaus kalkuliert die
vor uns liegenden Etappen und Strecken - wir lassen es ruhig
angehen.
Anschließend laden wir unser Gepäck in das Auto und fahren los. Ich
sitze am Steuer.
Es hat sich inzwischen bewährt, dass ich fahre, während Klaus
navigiert - vor allem, wenn wir uns in Ballungsräumen bewegen oder
ein definiertes Ziel ansteuern. Auf diese Weise haben wir einen
geeigneten Umgang mit dem Navigationsgerät gefunden - zudem einen
konfliktfreien. Und dass dieses Ding durchaus mitunter Sinn macht
und viel Erleichterung schafft - das habe auch ich indessen
zweifellos eingesehen.
Aber: Ebenfalls Straßenschilder machen
gelegentlich Sinn und tragen eine Absicht mit sich - ich bin nicht
bereit, nur blind nach Navi zu fahren, sondern orientiere mich immer
auch an ihnen. Und genau hieran soll sich
heute Vormittag ein kleiner Disput entzünden.
Wir haben Sioux City zum ersten Ziel
und befinden uns inzwischen auf der Interstate, als wir eine
Ausfahrt mit der Beschilderung 'Sioux City' passieren. Ich sehe sie,
setze flink den Blinker und will entsprechende Ausfahrt nehmen -
werde aber von Klaus zurückgepfiffen: 'Nein, hier noch nicht' - mit
Blick auf sein Navi. Ich bin irritiert. Frage ihn. Mehrmals. Ob er
wirklich sicher sei, dass dies nicht unsere Ausfahrt gewesen sei -
schließlich war Sioux City ausgeschildert. Er bejaht und verweist auf
sein Navi. Bei meiner wiederholten Nachfrage inzwischen zudem mit einem
speziellen Unterton in der Stimme: 'Ja, Saskia. Ich bin ganz
sicher.' Ich mag es nicht, wenn er meinen Namen so ausspricht. Aber
nun, gut. Ich frage nicht länger nach. Gute zwanzig Fahrminuten später
ist
indessen nicht mehr zu
übersehen, was ganz sicher ist: Wir fahren falsch. Seit einer
knappen halben Stunde. Respektive exakt seit dem Moment, an dem
wir darauf verzichtet haben, der Straßenbeschilderung nach Sioux
City zu
folgen.
Meine einstige Antipathie gegen das
Navi entflammt neu - und vor allem gegen Klaus' von mir deklarierte
'Navi-Hörigkeit'
- denn als solche empfinde ich sie. Gerne möchte ich es als erleichternde Ergänzung
begreifen - aber es kann echt nicht angehen, bin ich der Meinung,
dass wir diesem kleinen, elektronischen Ding die absolute
Alleinherrschaft überlassen - um uns göttergleich von hier an sogar
über Straßenschilder hinwegzusetzen. Dazu habe ich echt keine Lust.
Ich bemerke trocken: 'Manchmal
verfolgen Schilder eben doch einen Sinn' und verschaffe meinem
Ärger anschließend Luft, indem ich festhalte, dass ich nicht bereit
sei, Schilder weiterhin konsequent zu ignorieren. Und gleichfalls
nicht mein Gefühl. Denn ich habe es im Urin gehabt, dass wir falsch
fuhren. Mit jeder Meile, die wir zurücklegten. Deshalb hatte ich ja
so häufig nachgefragt.
Im eigentlichen ärgere ich mich also
über mich selbst. Dass ich mich habe 'bequatschen' lassen und wider
besseren Wissens entgegen meinem Fühlen und Empfinden handelte -
wieder einmal - ein beliebtes, gerne wiederholtes Lebensthema von
mir.
Aber: Was allein meine Angelegenheit
ist. Das sehe ich ein. Und nicht die eines anderen.
Ich entschuldige mich demnach für meinen
Ausbruch - er sich für sein Beharren und den Navigationsirrtum.
Seither haben nun auch Richtungsschilder bei unserer Orientierung
ein Wörtchen mitzureden - und gleichfalls ich.
Das gefällt mir.
Wir haken die Sache ab - und die Luft
ist nach
diesem kleinen Unwetter wieder klar. Aber so unerquicklich wie
dieser kleine Streit soll sich auch die Gegend präsentieren, die
wir an diesem Tage durchfahren - trostlose Einödnis ohne
nennenswerte Highlights oder Abwechslung - und ohne
irgendetwas, was man wohlwollend auch nur als geringfügig 'hübsch' bezeichnen könnte.
Ich bin mir sicher, dass bei unserem
Streit noch eine ganz andere Geschichte eine Rolle spielte. Dass es nicht
allein um persönliche Orientierung und jeweils präferierten
Navigationsstil gegangen ist. Denn seit dem gestrigen Abend
herrscht eine eigentümliche, ausgeprägte Spannung zwischen uns.
Sexueller Natur. Ich bin der Meinung, dass sich diese Spannung in
diesem Moment explosiv entladen hat. Und dazu führte, dass wir in dieser
Weise aneinandergerieten.
Denn gleich zwei hungrigen Wölfen
umkreisen wir uns seit gestern Abend - mit einer Zwangsläufigkeit
und Intensität, dass es nur noch um die Frage zu gehen
scheint, wer zuerst wen anfällt.
Und dennoch halten wir uns im Zaum.
Mit einem entsprechenden Umweg
passieren wir Sioux City und fahren weiter nach Sioux Falls. Dort
machen wir Rast und besuchen den Falls Park, in dem der Big Sioux
River
treppenartig seine Lauf nimmt und somit mehrere kleine Wasserfälle
erzeugt - als besonderer Hotspot in dieser Gegend angepriesen.
Es ist Samstag und der Park bevölkert
von Einheimischen, die hier ihren Nachmittag in der Sonne verbringen.
So hübsch der Falls Park auch sein mag - ich empfinde die
Atmosphäre als unangenehm. Ein klein-, nahezu spießbürgerlicher
Geist weht hier nach meinem Empfinden. Wenig
spüre ich indessen von den Weiten des Horizonts in dieser endlosen Ödnis der flachen Landschaften in den Gemütern der Menschen.
Vielleicht tue ich ihnen sehr unrecht. Das kann auf jeden Fall sein. Und dennoch: Ich fühle mich
nicht wohl.
Nachdem wir den Aussichtsturm bestiegen haben, der einen Ausblick
über den gesamten Park gewährt, uns kurz hingesetzt und die Karte
vor uns ausgebreitet haben, um unsere Weiterfahrt zu besprechen,
brechen wir wieder auf.
Das Land ist grau, die Laune ist es
ebenfalls - und zwischen uns diese üble Spannung, die uns aneinander
reiben - aber nicht länger gleichfließen und kooperieren lassen
will. Ich schätze, auch deshalb fühlt sich dieser Tag so an, wie
er es tut.
Geladen.
Ein tristes, dreckiges Stück Strecke
also, das wir heute fahren - umsäumt von spärlichen, wenig schönen
Besiedlungen - was mich schließlich zu der bissigen Bemerkung
anhält: 'Wenn es darum ging, letztlich derart hässlichen Shit
hierhin zu bauen - dann hätten sie den Indianern das Land auch echt
lassen können.'
Irgendwann bin ich müde geworden, müde
auch ob des Tages - und strecke mich auf der Rückbank aus, wo
mir die Augen zufallen. Ich soll just aus meinem Halbschlaf
aufschrecken, als Klaus einen lauten Fluch ausstößt.
Ein Auto auf der Nachbarspur hat
einen Stein aufgewirbelt und gegen unsere Frontscheibe katapultiert
- wo sich nun ein deutliches Mal abzeichnet. Ein überdeutliches.
'Was ist denn passiert?' frage ich.
'Ein Steinschlag. Wir müssen die
Mietwagenfirma anrufen. So groß hatte ich das noch nie.'
Gesagt, getan. Wir halten an einer
Tankstelle mitten in der Pampa und Klaus ruft bei der Mietwagenfirma
an. Linkerhand neben uns ein Motel, in dem zwielichtige Gestalten
vor ihren ebenerdigen Zimmern herumlungern und bereits unangenehm häufig zu
uns herübersehen - uns ins Visier genommen haben. Ich verriegle
unsere Tür von innen, warte, dass Klaus das Telefonat
beendet - und empfehle dann die umgehende Weiterfahrt.
Letztlich soll diese Sache keine
nennenswerten Auswirkungen auf uns zeigen - die Mietwagenfirma
vermerkt den Schaden und rät uns zur Weiterfahrt. Das ist alles.
Und dennoch: Spätestens jetzt ist für
mich nicht mehr zu übersehen, unter welcher Spannung dieser Tag liegt.
Wir fahren weiter bis kurz vor Sturgis
- und verschieben den Badland Nationalpark auf den kommenden Tag -
es würde andernfalls viel zu spät werden. Wir sind nicht wie
gedacht vorangekommen heute.
Anyway. Ich bin froh, diesen Tag
hinter mir zu lassen - und abhaken zu können. Morgen würde es
wieder durch angenehmere Gefilde gehen.
Gespannt bin ich indessen, was wir mit
der unleugbaren Spannung zwischen uns anfangen werden. Wie sie sich
entladen kann. Und wird. Um uns derart zu erlauben, konstruktiv zu bleiben. im
Gleichfluss.
Steinschläge sind zumindest keine gute
Variante.