25th | 26th March


 

Wir haben den Wilden Westen erreicht und dieses 'Nichts' an Einöde, das sich uns gestern präsentierte, hinter uns gelassen. Die Rezeptionistin unseres Motels ist tättowiert, rau und kurzangebunden. Ich bin wieder Zuhause. Hier ist es echt.

 

Wir sind untergekommen in der Nähe von Sturgis - dem Ort der alljährlichen legendären 'Sturgis-Rally', einem der größten Harley-Treffen weltweit - und folgerichtig hätte es die Tankstelle vor Ort, die wir gestern Abend noch aufsuchten, ohne weiteres gestattet, dass ich sie kurzum als formvollendete Bikerbraut wieder verlasse. In einem Extra-Raum findet sich Biker-Equipment bis unters Dach - bedruckt mit dem Schriftzug Sturgis plus Jahreszahl von anno dazumal - bis heute.

 

Ansonsten hat dieser Ort nicht viel zu bieten - fernab der Saison und einem Biker-Event ist es sehr ruhig hier - wir haben das Motel nahezu für uns alleine. Wenn nicht sogar für uns alleine. Als ich am nächsten Morgen den Frühstücksraum betrete, begegne ich keiner Menschenseele. Die Rezeptionistin von gestern Abend schlurft an mir vorüber und erwidert meinen Gruß mit einem sachlich-reduzierten 'Morning' - hält es aber scheinbar nicht für notwendig, die Rezeption zu öffnen. Sie wird bis zu unserer Abfahrt geschlossen bleiben. Wir werfen die Roomkeys in eine dafür vorgesehene, kaum redseligere Box ein.

 

Vertauschte Rollen scheinen wir heute zu spielen - Klaus treibt zur Eile an und kann offensichtlich nicht früh genug loskommen. Im Auto frage ich ihn amüsiert, was mit ihm los sei - ob wir heute unsere Parts gewechselt hätten. Schließlich sei es erst 9h morgens, wir bereits startklar und im Aufbruch begriffen. 8h sei es, korrigiert er mich. Es ist Mountain-Time - wir haben bereits wieder die Zeitzone gewechselt und eine Stunde gewonnen, gestern bereits - ich habe es lediglich nicht mitbekommen. Weiter erwidert er, dass er einfach gerne ausreichend Zeit für die Nationalparks hätte, die wir heute besuchen. Das sei alles.

 

Die Wahrheit ist: Er freut sich. Kann kaum verbergen, dass er unser erstes Ziel nicht schnell genug erreichen kann. Seine Freude jedoch soll meine Freude sein. Also los geht's.

 

Badland Nationalpark, Black Hills, Mount Rushmore, Crazy Horse - obgleich es Sonntag ist und sich mit unserer Ankunft auch die Nebel verziehen und die Sonne wieder hervorbricht, haben wir die Nationalparks den gesamten Tag quasi für uns alleine. Es ist noch nicht Saison und außergewöhnlich sonnig und warm - daher hat kaum jemand seinen Besuch dieser Nationalparks für diese Jahreszeit geplant.

 

Wir verleben einen wunderschönen, harmonischen Tag mit unendlich vielen Eindrücken.

 

Am frühen Abend erreichen wir Deadwood als nächsten Punkt unserer Route. Wir beschließen, dort zu übernachten - zum einen, weil wir später dran sind als geplant - und zum anderen, weil dieser Ort unserer beider ausgeprägter Sympathien erntet. Wir möchten Zeit haben, die wir ihm widmen können. Letztlich werden wir sogar zwei Nächte und den gesamten nächsten Tag hier verbringen - es ist wieder einmal Zeit für einen Zwischenstopp. Eindrücke zu verarbeiten. Die Seele nachreisen zu lassen.

 

Am Abend besuchen wir den Saloon No. 10, an welchem Ort einst der Revolverheld Bill Hickok beim Pokerspiel hinterrücks erschossen wurde - wobei damals, zu Zeiten des Goldrauschs, an dieser Stelle noch ein Zelt gestanden hat. Jedoch sein 'Death Chair' ist zu bewundern und hat es in den Saloon geschafft. Zuvor essen wir bei Pizza-Hut und kommen dort mit einem älteren Paar ins Gespräch, das in Deadwood lebt, deutsche Vorfahren hat, und den Kontakt zu Sophi vom hiesigen Tourist Office für uns herstellt - eine Österreicherin, die vor 60 Jahren als damals 16-Jährige als Flüchtling emigrierte - und seitdem hier lebt. Von Salzburg in den Wilden Westen - eine spannende Lebensreise. Sophi spricht Deutsch und möchte uns exklusiv etwas über Deadwood erzählen. Wir verabreden uns für den nächsten Tag mit ihr.

 

Am nächsten Tag erkunden wir ausgiebig Deadwood. Besuchen Sophi und erhalten reiche Informationen von ihr - über die Geschichte Deadwoods, dass Kevin Costner hier ein Casino besitzt, dass eine gleichnamige TV-Serie existiert, über bekannte Hotels, legendäre Orte und historische Stätten - und, wo wir Cowboy-Hüte erstehen können. Klaus erwähnt bereits seit Beginn unseres Trips, dass er von dieser Reise einen Cowboy-Hut mitbringen möchte. Einen weiteren Teil des Tages verbringen wir demnach mit Shopping, flanieren durch Deadwood, besuchen zuguterletzt den Mount Moriah Cemetery, auf dem Bill Hickok, nebst der nicht minder treffsicheren Revolverheldin Calamity Jane, begraben liegt und inzwischen zur Pilgerstätte mutierte - und kehren schließlich ins Motel zurück.

 

Deadwood ist klasse. Und dieser Tag war es ebenfalls.

 

Weniger klasse gestaltet sich hingegen unser gegenwärtiges Zusammensein. Unser Honeymoon ist vorbei. Soviel ist sicher. Nunmehr soll sich das Augenmerk nicht länger auf Gemeinsamkeiten richten - nun werden die Unterschiede herausgearbeitet. Und betont.

 

Als Klaus am Morgen in Badehose, strahlend und mit einem Kaffee für mich in der Hand von hauseigenen Swimming Pool zurückkehrt - ich hingegen genervt bin, dass er bereits wieder da ist, froh gewesen, mal vermeintlich einen Moment für mich zu haben, und ihn mit den Worten empfange, dass ich unbedingt heute ein paar Stunden für mich bräuchte - soll ich im Anschluss harsche Kritik von ihm ernten.

 

Alles das, was er in den vergangenen zehn Tagen zurückgehalten, was er sich verkniffen und nicht erlaubt hat - und von dem ich nicht wusste, dass es überhaupt existierte - nun spricht er es aus.

 

Er findet mein Verhalten zum Kotzen. Fordert mich auf zu mehr Sachlichkeit. Auch wenn er es so nicht ausdrückt - ich möchte es derart übersetzen.

 

Tatsache ist: Sein Blick auf mich war nicht zwangsläufig wohlwollend, zugetan, maximal tolerant und ehrerbietend. Er hat einfach nur die Schnauze gehalten. Das ist alles.

 

Enttäuschend eigentlich.

 

Und in mir unvermittelt die Frage aufwirft: Wie viel wert sind ein Entgegenkommen,  Kooperation und Rücksicht, die letztlich zu derartigen Vorwürfen führen?

 

Eine Frage, die ich nicht nur an ihn, sondern gleichfalls an meine eigenen Adresse richte. Denn: Ich habe in der Vergangenheit in ähnlicher Weise agiert.

 

Dennoch: Ich kann ihn verstehen und seine Kritik für mich annehmen. Ich habe mir viele Freiheiten genommen in der Zeit unseres Zusammenseins. Davon ausgehend, dass ich es kann. Mich ausgelebt. Selten zensiert. Kaum bewusst der Tatsache, dass dies auf seine Kosten geschah. Denn er hat nichts gesagt. Still gelitten.

 

Das möchte ich natürlich nicht.

 

Tatsächlich weiß ich sehr genau, wie seine Rolle sich anfühlt. Denn ich habe sie in der Vergangenheit häufig gespielt. Kurios, mich hier nun in umgekehrter Rollenverteilung wiederzufinden. Hier nun bin ich die 'Böse', die 'Egoistische', die vermeintlich 'Rücksichtslose', die 'Irrationale', die 'Unzivilisierte'.

 

Habe ich mich verändert? Oder habe ich vielmehr Eigenschaften zu mir zurückgenommen, die ich in der Vergangenheit auslagerte und projizierte? Ich schätze, beides trifft zu. Ich habe mich verändert, indem ich diese Eigenschaften zu mir zurückgenommen - und als meine eigenen angenommen habe. Und dennoch gehörten sie die ganze Zeit über unverändert zur mir.

 

Während ich diese Gedanken hege, tut es mir leid für all die Menschen, die in meinem Leben die Rolle des Buhmanns spielen mussten. Weil ich sie ihnen zugeteilt habe. Und es gab etliche von ihnen. Nun erkenne ich, dass es in Wahrheit nicht unsere Unterschiedlichkeiten waren, die uns so eng miteinander verbinden ließen - sondern vielmehr unsere Ähnlichkeit.

 

Ich bin beschämt.

 

So verständig ich mich demnach für Klaus' Kritik und seine Bedürfnisse zeigen kann, sie mir zu Herzen nehmen und mein Verhalten anpassen möchte - eines kann ich ihm nicht abnehmen: Seine Bedürfnisse zu äußern. Und zwar in genau dem Moment, in dem sie Relevanz haben.

 

Das ist seine Aufgabe. Und sie bleibt es auch. Keinesfalls kann es mein Job sein, sie zu erraten.

 

Und in noch einer Sache werde ich ihm nicht Genüge tun können: Ich bin und bleibe ein Gemütsmensch. Daran ändert auch ein gleichbleibend temperierter, wohlerzogenenr, verkopfter Naturwissenschaftler nichts. Weder heute. Noch morgen. Und das will ich auch gar nicht.

 

Dies sage ich ihm auch. Dass ich ein Gemütsmensch sei. Dass sich hieran nichts ändern würde. Und dass ich das auch gar nicht wolle.

 

'Ich weiß', wird er seufzen - mit einem mitleidigen Unterton in der Stimme - als ob ich Opfer einer unheilbaren, tödlichen Krankheit wäre.

 

Es ist mir egal. Denn ich begreife meine Gefühle als mein Kapital. Als ein sehr kostbares sogar. Denn meine Gefühle gewähren mir Einblicke, die meinem Geist ewig verschlossen bleiben würden. Sie sind die sensibelsten Seismographen und zugleich unbestechlichsten Instrumente, über die ich verfüge. Ich kann dank ihrer Umgebungen spüren, Atmosphären, andere Menschen, ihre Gefühle - teils ihre Gedanken. Auch über Entfernungen hinweg - wenn ich mit ihnen verbunden bin. Dies aber lässt sie mich hoch- und nicht minder schätzen.

 

Und nicht zuletzt wird in diesem Moment offenbar, wie wenig hilfreich es sich gestalten kann, wenn eine Deckungsgleichheit zwischen äußerem Ausdruck und innerem Erleben fehlt. Wenn die eigenen Gefühle gänzlich der Regentschaft des Verstandes unterstellt werden. Denn meine Botschaft an die Umgebung wird dadurch verzerrt. Wenn nicht sogar eine ganz andere Botschaft erzeugt.

 

In dieser Sache möchte ich ihm nicht folgen: Ich kann und will es nicht für mich annehmen, die absolute Selbstkontrolle und für die Außenwelt tunlichst unsichtbare Gefühle als vornehmliches Zeichen des zivilisierten Menschen zu begreifen.


Und dennoch möchte ich mich nicht auf seine Kosten ausleben.

 

Ergo: Ich bin bereit, ein sensibleres Verhalten an den Tag zu legen, mehr Rücksicht auf ihn zu nehmen, verstärkt auf ihn einzugehen und mir nicht länger Freiheiten zu nehmen, die zu seinen Ungunsten gehen. Ich bin gerne bereit, seine Bedürfnisse zu berücksichtigen.

 

Aber - auch dies nochmal - denn dabei bleibe ich: Dafür muss er sie äußern. Weiterhin bin ich nicht bereit, künftig weitreichend auf Authentizität zu verzichten.


Und: Ich freue mich über seine Höflichkeit, seine Rücksicht und seinen Anstand - solange er diese Eigenschaften freiwillig ins Spiel bringt. Sofern er aber Gegenleistung dafür verlangt - und sei es diese, es ihm unbedingt gleichzutun - möchte ich lieber auf diese Gaben verzichten.

 

Meine Einsichtsfähigkeit in unserem Gespräch heute morgen schien ihn zu überraschen. Ganz verstanden hingegen, was ich gesagt habe, hat er, wie es scheint, allerdings nicht.

 

Denn nachdem wir heute Morgen zu einem scheinbaren Konsens gefunden hatten - ich in der Folge aber dabei bleiben sollte, meine Bedürfnisse unzensiert zu äußern, hatten wir am Nachmittag wieder exakt dasselbe Problem.  Ich sagte, dass ich dringend ein paar Stunden für mich benötigen würde - vor unserer Weiterfahrt morgen früh - und den Rest des  Tages daher gerne für mich verbringen würde.

 

Er nimmt es mir übel. Auch dieses Mal. Es kann also nicht allein an meiner Art gelegen haben.

 

Schade. Aber ich kann es nicht ändern.

 

It's not my business. And that's for sure.

 

Ein wundersamer Nebeneffekt: Das Sexthema zwischen uns hat sich auf jeden Fall für's erste erledigt. Und zwar komplett. Wert die Überlegung, ob es sich überhaupt um eine sexuelle Spannung dabei handelte - oder nicht vielmehr um spannungsreiche Aggressionen. Vielleicht verhält es sich aber auch umgekehrt - und was gestern noch sexuelle Spannung war, mündet nun in Aggressionen.

 

Anyway. Mir soll es recht sein. Denn, Sex hin oder her - ein Paar würde aus uns dauerhaft nicht werden. Soviel steht fest.

 

Und insofern mag es ganz sicher hilfreich sein, potentielle Komplikationen im Hinblick auf unsere fortdauernde Reisegemeinschaft möglichst zu vermeiden. Sofern es nicht längst zu spät dafür ist.

 

Denn nach Komplikationsfreiheit - sieht das hier derzeit nicht gerade aus.

 

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© 2o12, Saskia Katharina Krost