28th | 29th March


 

Zwei Tage ganz im Zeichen des Yellowstone Parks. Am späten Vormittag machen wir uns von Cody aus auf den Weg zum Nordeingang des Yellowstone Parks. Der einzige Eingang, der zu dieser Jahreszeit geöffnet ist. Er wird uns führen über den 'Wildlife Trail' - namensgebend, da auf ihm besonders viele Tiere zu beobachten sind. Da wir uns mit Cody am Osteingang des Nationalparks befinden, und ebenfalls der Nordosteingang bei Cooke City aufgrund starken Schneefalls geschlossen bleibt, müssen wir ein gutes Stück um den Park herumfahren - letztlich 5h Fahrt werden wir für die Strecke von Cody nach Gardiner, direkt am Nordeingang des Yellowstone Parks, benötigen.

 

Obwohl wir gestern Abend bereits gegen 22h ins Bett gefallen sind, gegen halb acht aufgestanden sind - und somit verhältnismäßig lange geschlafen haben - entrinnt uns die Zeit an diesem Morgen und wir brauchen lange. Als wir im Auto sitzen und auf die Uhr schauen, ist es bereits 11h. Wir können uns nicht erklären, wieso.

 

Gegen 16h treffen wir ein in Gardiner - und besuchen zuerst das dortige Tourist Office am Eingang des Yellowstone NP. Wir bekommen die Auskunft, dass man etwa 3h benötigt für die Fahrt durch den Nationalpark bis nach Cooke City - für die einfache Strecke. Es ist also klar, dass wir Gesamtstrecke hin und zurück heute nicht mehr bewältigen können werden. Wir entscheiden uns, noch ein kleines Stück in den Park hineinzufahren - bis zur Dunkelheit - dann umzukehren und in Gardiner, im hiesigen Super8, zu übernachten. Um am nächsten Morgen, mit Sonnenaufgang, sodann nochmals die gesamte Strecke bis nach Cooke City und zurück zu fahren. Anschließend werden wir uns linkerhand entlang des Yellowstone Parks durch Montana bewegen - in Richtung des Grand Teton National Parks. Unserem nächsten Ziel. Bestenfalls schaffen wir es bis nach Jackson, ein kleines Westernstädtchen direkt am Südeingang des Grand Teton.

 

Im Yellowstone National Park ist indessen einem kleinen Spektakel beizuwohnen. Ein Schwarzbär hat sich auf das Eis eines kleines Sees gewagt, das Eis war zu dünn, um ihn zu tragen, er ist eingebrochen und ertrunken. Ein Grizzly hat den Kadaver nach einiger Zeit aus dem Wasser gezogen, seinen Hunger gestillt und ihn dann liegengelassen. Als nächstes kamen die Wölfe, die sich nun um den Bären scharen und dort bei ihrem Mahl zu beobachten sind. Tatsächlich hat sich die Kunde über dieses Schauspiel inzwischen herumgesprochen - viele Naturfreaks sind vor Ort - und die Hartgesottensten campieren quasi auf ihrem Beobachtungsposten. Zeitgleich reisen immer mehr Zaungäste an, um der Natur mit Fernglas und Objektiv auf den Leib zu rücken.

 

Als wir die besagte Stelle erreichen, finden wir dort etliche Amerikaner vor - sowie im Tal ein Rudel Wölfe beim Fressen des Kadavers. In einiger Entfernung daneben aufgereiht, sitzend wie auf Zuschauerrängen, Dutzende von Aasgeiern. Sie werden sich in die Lüfte erheben und gleich einer schwarzen Wolke auf dem Aas niederlassen, sobald die Wölfe sich sattgefressen und die Futterstelle verlassen haben.

 

Sicher nicht schön. But it's nature.

 

Die Dämmerung bricht an und mit ihr werden auch die übrigen Tiere des Parks aktiv und vermehrt sichtbar - allen voran die Büffel, die nun die Fahrbahn überqueren und/oder bevölkern - zwischen ihnen und uns nichts - außer 0,8 Millimetern Stahlblech. Unserem Auto. Ein beeindruckendes, zugleich sehr Respekt einflößendes Erlebnis.

 

Vor Einbruch der Dunkelheit kehren wir ins Hotel zurück und stellen uns den Wecker für den kommenden Morgen auf 5h - wir möchten mit Sonnenaufgang erneut den Nationalpark besuchen, da um diese Zeit dort Grizzleys zu beobachten sein sollen. Tatsächlich wache ich bereits um 3h nachts auf - mein Körper trägt immer noch die Erinnerung an deutsche Zeit in sich - hinzu kommt das Wissen, dass ich um 5h aufstehen  müssen werde - was mich als zusätzliche Tatsache zu keinem Tiefschlaf hat finden lassen. Ich werde bereits am Nachmittag dieses Tages vollkommen übermüdet und zu nichts mehr zu gebrauchen sein.

 

Nachdem es hell geworden ist, fahren wir hinein in den Yellowstone Park. Die einzigen Idioten jedoch, die wach sind, sind wir - alle Tiere frönen offensichtlich noch dem Nachtschlaf. Inklusive der Grizzleys. Wir sollen keinen von ihnen zu Gesicht bekommen. Dafür aber wiederholt jede Menge Büffel und auf dem Rückweg - eine nochmals gewachsene Schar an Fotojägern an der Stelle des Schwarzbären. Die Kunde von der einmaligen Gelegenheit, Wölfe im Wildlife zu beobachten, scheint weiterhin seine Kreise gezogen zu haben.

 

Wir fahren einmal die gesamte geöffnete Nordstrecke bis nach Cooke City, einem eingeschneiten, rustikalen, kleinen Winterort und zurück. Dann machen wir uns auf zur Weiterfahrt nach Jackson.

 

Einen guten Teil des Tages durchfahren wir Montana - ein traumhafter Bundesstaat mit grandiosen Landschaften, den ich auf Anhieb lieben lerne - noch vor Wyoming, was ich ebenfalls phantastisch finde. Die Bewohner von Montana sind megacool, sagen 'Howdi',  haben ihren eigenen Style und schlurfen über den Boden. Inzwischen bilde ich Ranglisten: Chicago-Men, Montana-Boys - später kommen die Salt-Lake-City-Männer noch hinzu.

 

Außerdem werden wir heute noch Idaho erreichen - und morgen weiterreisen nach Utah. Salt Lake City heißt unser nächstes Ziel.

 

Inzwischen sind wir auf der Straße zuhause. Und ich befürchte - so sehen wir auch aus. An meinen Klamotten klebt der Staub von etlichen Nationalparks und bildet dort eine innige Symbiose mit Mc-Donalds-Ketchup und Kaffee-Creamer. Dennoch weigere ich mich, mir frische Sachen anzuziehen, solange wir Nationalparks besuchen - zum einen sind sie rar und kostbar - und zum anderen wären sie mit dem nächsten Schritt durch Staub oder Schlamm kaum mehr von der bereits dreckigen Kleidung zu unterscheiden. Das erspare ich mir.

 

Wenn es ums Abendessen geht, stellen wir uns die Frage: McDonalds, Burger King, Pizza Hut, Subways - oder ein Käsebrot? Häufig greifen wir indessen zurück auf das Käsebrot. Kaum weniger nahrhaft oder schmackhaft - aber preiswerter.

 

Taucht hingegen ein neues Produkt auf der Karte von McDonalds oder Burger King auf - wird uns das sofort auffallen - und dankbar von uns aufgegriffen. 'Schau mal, die haben was Neues!' Für mich als Pesce-Vegetarierin, die zwar Fisch, aber kein Fleisch isst, ist die Auswahl zwangsläufig noch begrenzter.

 

Und nicht zuletzt haben wir seit Neuestem Tankstellen als hoffnungsfrohe Nahrungsquelle für uns entdeckt. Nicht selten verkaufen sie dort Selbstgekochtes - vor allen Dingen in kleineren Orten - wir fühlen uns wie bei Mutti und essen uns die Seele satt.

 

Während der Fahrt trinken wir neongrüne Getränke und essen neonrotes Süßes - und stellen uns die Frage, wann wir selbst wohl endlich zu leuchten beginnen. Wir sind sicher, dass dies letztlich lediglich persönliche Ausdauer und Kontinuität bestimmen werden. Bedeutet: Einfach dranbleiben. Irgendwann sind wir zwangsläufig verstrahlt.

 

Am Abend im Motel möchte ich die Heizung in Betrieb nehmen und stelle sie ein auf 81° Fahrenheit - einfach mal so, aus Sympathie für die Zahl und mit einer kaum von der Hand zu weisenden Beliebigkeit - ohne zu wissen, wie viel Grad Celsius dies in etwa entsprechen könnte. Theoretisch könnte es sein, dass uns das Ding  gleich um die Ohren fliegt. Aber auch das nehmen wir in Kauf.

 

Fast um die Ohren geflogen ist uns indessen auch unsere Milch, die uns seit Washington treu durch die Bundesstaaten begleitet - und auch fehlende Kühlung sowie jegliche Klimawechsel und Temperaturschwankungen tapfer akzeptierte - bis jetzt, wo wir feststellten, dass die Verpackung bereits beachtliche Ausmaße angenommen hat - unter extremer Hochspannung zu stehen scheint - und befürchten lässt, jede Sekunde zu explodieren.

 

Wir sehen bereits die Schlagzeile bildhaft vor uns: 'German Tourists killed by organic fat free milk' - und nehmen schweren Herzens Abschied von ihr. Denn sollten wir ihr tatsächlich zum Opfer fallen, wird niemand mehr erfahren und gebührend anerkennen können, dass wir zuvor Wölfen, Büffeln und Grizzleys entkamen. Das aber möchten wir unbedingt vermeiden.

 

Und so arbeiten wir uns vor über den Kontinent - Tag um Tag - Meile um Meile - 3.500 Meilen haben wir inzwischen auf dem Buckel - fortwährend treu an an unserer Seite unser Chevy Silver SUV, auf dem wir von Osten nach Westen reiten und mit dem wir längst eine untrennbare Einheit bilden. Kaum mehr wird er wohl am Ende unseres Trips als Neuwagen durchgehen - als den wir ihn erhielten - seine Jungfernfahrt führte ihn einmal quer über den Kontinent. Und während wir zwar gewissenhaft vor jedem Nationalparkbesuch Vorder- und Seitenscheiben putzen - um überhaupt noch etwas durch die Scheiben zu sehen - ist der Rest des Wagens mindestens genauso dreckig wie wir. Wir warten auf Regen.

 

Wir vergessen inzwischen, wie der Ort hieß, an dem wir die letzte Nacht verbrachten, wie das Hotel aussah - und teils müssen wir uns sogar anstrengen, um zusammenzubekommen, was wir am Vortag erlebten und wo wir dort waren.

 

Wenn wir das gewählte Motel betreten - die Stätte unserer Nacht - greift sofort ein routinierter, kontinuierlich verfestigter Ablauf - von Check-In bis Check-Out kennt inzwischen alles seinen definierten Ablauf. Die Handgriffe sind zigfach erprobt und gelingen inzwischen wie im Schlaf. Koffer abstellen, Taschen, ausräumen, aufräumen, Steckdosen orten, Adapter einstecken, Akkus laden, Fotos sichern, umziehen, duschen, W-Lan verbinden, Cellphone checken, Netbook an - usw. ...

 

Die Orte wechseln, die Menschen, die Umgebung und die Landschaft. Eine Vielzahl von Eindrücken prasselt jeden Tag auf uns ein, alles ist und bleibt in Bewegung - die einzige Konstante bilden indessen wir uns einander.

 

Während ich im Osten einer Mission zu folgen schien, wenngleich mir verborgen bleiben muss, welcher Natur - habe ich hier nun keine definierte Bestimmung mehr.

 

Treiben lassen kann ich mich hier im Westen.

 

And the trip still goes on...

 

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© 2o12, Saskia Katharina Krost