30th | 31th March


 

Wir haben in Jackson Hole übernachtet - nahe des Grand Teton National Parks, dem wir heute einen Besuch abstatten werden, bevor uns unsere Weiterfahrt nach Salt Lake City führen wird. Jackson Hole - im Reiseführer als kleines Westernstädtchen deklariert - von wegen. Viel eher ist es zu charakterisieren als 'Ischgl des Mittleren Westens' - als dass hier auch nur irgendetwas von 'Wild', 'West' - geschweige denn 'Wild West' zu spüren wäre. Tatsächlich ist Jackson Hole ein beliebter Skiort, wie wir feststellen werden - zwar aufgemacht im Style einer Westernstadt - hinter den Fassaden allerdings ist ausnahmslos ein äußerst gediegenes und sehr elitäres Ambiente zu finden. Kernig ist hier kaum jemand. Schon eher versnobt.

 

Angesichts der uns umgebenden Schickeria fühle ich mich punktum noch dreckiger als sowieso schon. Und wünsche mich nahezu zurück - zu den Wölfen und Bären.

 

Im Ausgleich haben wir in einer Suite genächtigt - mit einem weiteren Zimmer und diversen Annehmlichkeiten - und dafür kaum mehr bezahlt als wir es sonst in einem Motel tun. Tatsache ist: Ungezählte Unterkünfte gibt es hier - es ist allerdings kaum noch Saison, Schnee liegt noch, aber nicht mehr genug, die Quartiere sind daher nicht ausgelastet - und vergeben Sonderpreise. Wir erhalten einen Rabatt. Offensichtlich wird sich derzeit über jeden zahlenden Gast gefreut. Auch über den dreckigen.

 

Allerdings werden wir die Räumlichkeiten in ihrer uns ungewohnten Großzügigkeit in dieser Nacht kaum für uns nutzen - vielmehr werden wir die Tür zum zweiten Zimmer über Nacht verriegeln - aus Angst vor potentiellen Übergriffigkeiten - und stellen so den gewohnten Motel Super8-Zustand auch in dieser Umgebung wieder her. Tja. Vielleicht hätten wir das Zimmer untervermieten sollen - um wenigstens irgendeinen Nutzen aus ihm zu ziehen.

 

Aber im Ernst - der großzügigere Platz macht sich im Empfinden bemerkbar: Jedem von uns steht hier nun optional mehr Raum zur Verfügung - das schafft Erleichterung und Entspannung. Wir könnten einander ausweichen. Wenn wir wollten. Allein die Möglichkeit - macht einen Unterschied.

 

Richtfest ist heute. Oder zumindest so ähnlich. Zwei Wochen bewegen wir uns nun mittlerweile auf amerikanischem Boden. Noch einmal soviel - und dann noch eine Woche drauf - und erst dann geht es heimwärts.

 

Ich stelle fest, dass ich erst jetzt richtig angekommen bin. So ganz. Mit Geist und Seele. Kompletter Gegenwärtigkeit. Dem vollen Bewusstsein, wo ich mich befinde und bin. Knapp zwei Wochen habe ich dafür benötigt. Etwa ebenso lange brauchten Klaus und ich, um einen Konsens zu finden, uns aneinander zu gewöhnen, aufeinander einzustellen und einen geeigneten Umgang im Miteinander zu schaffen.

 

Es ist größtenteils angenehm zwischen uns. Mal mehr, mal weniger - mit allen Höhen & Tiefen, die eine Zweisamkeit mit sich bringt - noch dazu eine permanente - seinen besonderen Geschenken - und seinen speziellen Herausforderungen.

 

Zwei recht unterschiedliche Menschen sind sich hier begegnet - die sich teils gegenseitig bereichern - und teils gegenseitig hochgradig auf die Nerven gehen. Aber gleichfalls zwei Menschen, mit etlichen Gemeinsamkeiten, verwandt gelagerten Interessen und einer Menge Übereinstimmung. Es ist in Ordnung. Und ganz gewiss: Das Allerbeste für diese Gegenwart. Und diesen Moment.

 

Was unsere Unterschiedlichkeiten angeht, schaue & prüfe ich für mich, was ich daraus lernen kann, für mich mitnehmen - und ich denke, es ist eine gesunde Menge. Ich darf etliches über mich lernen - nicht zuletzt durch den Kontrast, den wir einander bilden und auf dem wir uns jeweils konturenscharf abbilden. Weiterhin stelle ich fest, dass ich hier gerade neue Maßstäbe für einen zwischenmenschlichen Umgang für mich setze. Klaus respektiert Grenzen. Das habe ich in den letzten Monaten verstärkt gesucht und zunehmend für mich eingefordert. Hier nun darf ich seine Praxis erfahren. Und es tut mir gut und heilt mich. Ich möchte darauf künftig nicht mehr verzichten.

 

Was eine geeignete, konstruktive Kommunikation betrifft, durfte ich vergleichbare neue Maßstäbe in meiner letzten Liebschaft bilden - und so setze ich in dieser Gegenwart Stück für Stück eine richtungsweisende Vorstellung für mich zusammen - eines adäquaten, respektablen Miteinanders. Sammle hier - und sammle dort.

 

Erst nach zwei Wochen habe ich vermocht, meinen Liebsten daheim eine Rückmeldung über meinen Verbleib zu geben - und nachzufragen, ob alles in Ordnung sei. Zu groß war meine Angst, dass dem anders sein könnte - und Kontinente zwischen uns es mir nicht gestatten würden, etwas daran zu ändern.

 

Wiederholt bewusst werden muss mir hierdurch, welche enormen Verlustängste ich zwischenzeitlich ausgeprägt habe. Wie traumatisch mein Leben zuletzt auf mich gewirkt haben muss. Vertrauen. Das Zauberwort heißt: Vertrauen. Und ich gewinne es langsam zurück.

 

Natürlich ist alles in bester Ordnung daheim - alles wie immer - wobei meine Sorge ein herzliches Lachen bei meinen Liebsten hervorruft - schließlich bin ich es ja, die sich derzeit in der weiten Welt herumtreibt. Und Abenteuer sucht. Weitaus angebrachter wäre daher wohl die Sorge um mich...

 

Etwas Heimweh beginnt mich hier und da zu plagen - nicht nach Berlin und nicht nach Deutschland, das auf gar keinen Fall - aber nach Lebewesen, Tieren und Menschen, die mir nahestehen - allem voran Kaya, der jederzeit Rat, eine Schulter und Nähe bietet - sowie den zwei geliebten Felltigern, die ich mir herwünsche, um sie in den Arm zu nehmen und sie an mich zu drücken, ihr weiches Fell an meiner Haut zu spüren. Ich schätze, mir fehlen Nähe und Körperkontakt.

 

So sehr mir diese Zugehörigkeit fehlt, so wenig fehlen mir Orte - insbesondere mit derzeitiger Distanz wird mir gewahr, wie wenig Heimat mir mein gewohntes Lebensumfeld seit geraumer Zeit bietet - viel eher noch fühle ich diesbezüglich hier beheimatet. Am richtigen Platz.  Empfinde Identifikation und Perspektive. Atme durch. Seit langem einmal wieder.

 

Im Kontakt zu Klaus habe ich indessen die kontinuierliche Freundlichkeit als Weg für unser Zusammensein gewählt. Das klappt ganz gut - auch hier mal mehr, mal weniger - denn wie ich feststellen werde,  hat der Herr durchaus gleichfalls seine wechselnden Stimmungen und Tagesverfassungen - und lässt mich diese auch sehr wohl spüren. Auch wenn er vielleicht anderes von sich meint. Ebenfalls in dieser Hinsicht  scheint es zwischenzeitlich, als hätten wir die Rollen getauscht. Die Fassade des perfekten Anstands bröckelt. Stark.

 

Und dennoch profitiere nicht zuletzt ich selbst von meiner Übung in durchgängiger Freundlichkeit. Ob ich gut drauf bin. Ich bin freundlich zu Klaus. Ob ich schlecht drauf bin. Ich bin freundlich zu Klaus. Und werde feststellen, dass ich dadurch eigens mehr Lebensqualität erhalte. Das ist eine schöne Erfahrung. Und so leicht.

 

Leicht macht es mir hierbei auch meine Umgebung. In gleicher Weise stützend nebst Klaus wirkt in diesem Zusammenhang das Wesen der Amerikaner, die einem stets freundlich und hilfsbereit begegnen. Ich mag das. Sehr. Ich bin kein Anhänger eines neidvollen, mißgünstigen Umgangs, wie ich ihn in der Heimat so häufig im Alltäglichen erlebe. Ich mag das nicht.

 

Authentizität ja. Ungunst nein.

 

Ich möchte behaupten, dass auch Klaus von unserer Unterschiedlichkeit profitieren kann. Ich scheine ihn freier zu machen. Lockerer. Verspielter. Er beginnt, sich auszuprobieren. Sich mehr auf sich selbst zu fokussieren. Impulsen zu folgen. Sich zu bespiegeln. Ungeachtet möglicher Bewertungen eines Außen.  Ich finde das angenehm.

 

Doch zurück zum Tagesgeschehen. Wir verbringen einen wundervollen Vormittag im Schnee im Grand Teton National Park ('Großer-Titten-Nationalpark' | Grand Teton = große Brüste - französische Fallensteller fühlten sich bei dem Anblick der speziell geformten Berge hieran erinnert und mimten die Namensgeber - was sehr viel mehr über ihre damalige Verfassung nach endlosen Fußmärschen aussagt als über den Charakter des Nationalpakrs, wie ich finde - denn ich kann beim besten Willen keine Brüste in diesem dreidimensionalen Rohrschach-Test erkennen...), und fahren schließlich weiter gen Salt Lake City. Auf dem Weg durchfahren wir wieder einmal Landschaften, die uns Herz und Seele öffnen, treffen auf sympathische Menschen und etliche Eindrücke am Wegesrand. Wir essen an einer Tankstelle bei Alpine, Montana, die besten selbstgemachten Taccos unseres Lebens - so gut, dass wir prompt Nachschlag verlangen und noch Stunden später davon schwärmen werden - und auch mein geliebtes Root Beer tue ich an wiederum anderer Tankstelle auf - und befülle mir kurzerhand einen Large-Becher damit. Root Beer ist ein klebriges, süßes Gesöff, ohne Koffein und Alkohol, das nach Kaugummi schmeckt und nach dem ich süchtig geworden bin - für diesen Moment. Ewig werde ich das Zeug sicher nicht trinken können. Und wenn doch - wäre das sehr bedenklich. Nicht zuletzt frage ich mich seit geraumer Zeit, wann sich mein Magen schlicht umstülpen wird - um all diese zweifelhaften Dinge, die ihm derzeit begegnen sollen, kurzum und in einem Rutsch protesthaft einfach von sich geben.

 

In gleicher Weise, wie ich gestern bereits bei der Anfahrt auf Jackson Hole ein bestimmtes Gefühl entwickelte und spürte, dass ich mich dort kaum wohlfühlen würde - wachsen in mir nun immer mehr die Euphorie und Vorfreude - je näher wir dem Speckgürtel von Salt Lake City kommen. Ich freue mich total auf diese Stadt. Und das zu Recht.

 

Salt Lake City is a really cool city. Eine  faszinierende Stadt der Gegensätze, sehr lebendig, sehr offen, sehr bunt - ganz erfasst habe ich sie indessen noch nicht - was mein Interesse an ihr nur steigen lässt. Hierher möchte ich unbedingt einmal zurückkehren.

 

Das Stadtbild ist gleichermaßen von der ordnenden Hand der Mormonen geprägt - als auch andererseits von einer inhomogenen, individualistischen Bevölkerung - was ihr Pflaster facettenreich macht. In ihrem höchsten Gegensatz trennen hier konservative Mormonen und abgefuckte Quertreiber kaum ein paar Meter. Das finde ich spannend.

 

Noch auf der Fahrt nach Salt Lake City kann ich mir eine kleine Spitze nicht verkneifen und lasse das Teufelchen walten. Ich verheiße Klaus, dass ihm diese  Stadt sicher sehr zusagen werde und zitiere aus dem Reiseführer: 'Restlos sauber, überaus freundlich und gefüllt mit Denkmälern und Missionen, reflektiert Salt Lake City unmissverständlich die Grundsätze des Mormonentums, die die Gemeinschaft und zivile Ordnung an vorderster Stelle sehen.' Und grinse ihn an. Er findet das geringfügig lustig. Ich schon etwas mehr. Und tatsächlich wird er am folgenden Morgen, als wir in Salt Lake City  einfahren, als erstes bemerken: 'Das ist aber schön sauber hier!' - indessen ich meinen Blick längst auf die Brüche und Unregelmäßigkeiten am Straßenrand gerichtet habe. Und ebenso davon gibt es ausreichend. Es ist demnach für jeden etwas dabei...

 

Am Abend unserer Ankunft fahren wir nach dem Check-In in die nächtlich-beleuchtete City - die Tallage und das Meer an Lichtern erinnert mich an Vegas oder Reno - ich liebe diese Atmosphäre. Wir suchen einen Burger King auf, um dort etwas zu essen. Und die gewählte Location lässt nicht allein zu, dass wir unseren Hunger stillen - sondern gewährt gleichermaßen geeignete Sozialstudien. Das macht mir Spaß. Die Salt Lake City-Bewohnerschaft fasziniert mich.

 

Am kommenden Morgen machen wir uns auf, um das Zentrum von Salt Lake City zu erkunden, sowie den Temple Square aufzusuchen - das religiöse Zentrum der Mormonen. Im Visitors Center vor Ort werden wir erfahren, dass exakt an diesem Samstag das zweimal jährlich abgehaltene Kirchentreffen der Mormonen stattfindet - wir treffen außerdem exakt zur Mittagspause ein - 24.000 Mormonen auf dem Temple Square - und wir mittendrin. Wir erhalten einen nachhaltigen Eindruck von dieser Gemeinschaft. Und ihrem Gebaren.

 

Ein sehr konservatives, äußerst gepflegt, höflich und über die Maßen gesittet auftretendes Völkchen - elitär, sauber, wohlerzogen, zuvorkommend - nahezu spießig. Prüde. Fast möchte man schon laut rülpsen oder ausfällig werden - nur, um dieser Szenerie etwas derbe Menschlichkeit einzuhauchen.

 

Natürlich bleiben auch versuchte Bekehrungsversuche nicht aus. Als wir das ehemalige Wohnhaus von Brigham Young besuchen, Kirchenführer der Mormonen, und dort an einer Führung teilnehmen, haben wir sehr schnell zwei fragwürdige Damen auf den Fersen, die uns fortwährend in ein Gespräch zu verwickeln versuchen. Uns einladen, bei ihnen zu wohnen. Und ausfragen. Unklar bleibt, in welchem Verhältnis diese beiden Damen zueinander stehen - sie geben ein sonderbares Pärchen ab - und ganz frisch unter der Mütze wirken die beiden ebenfalls nicht.

 

Als die Führung schließlich beendet ist und wir wieder hinaus auf die Straße treten, halten wir beiderlei eine Werbebroschüre in der Hand - wobei sich diejenige von Klaus noch vollständig wähnt - und  bei mir eine Seite fehlt. Die Betrittserklärung. So interpretiert es zumindest Klaus - in Wahrheit bot sie lediglich die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme und weiteren Informationen - unter den lechzenden Blicken der Mormonenfrauen habe ich sie ausgefüllt. Und ihnen ausgehändigt.

 

Eine Wegwerf-eMail haben sie von mir bekommen. Sowie meinen Vornamen. Denn es interessiert mich brennend, ob sie mir tatsächlich schreiben werden. Und vor allem: Was.

 

Als wir ausreichend Mormonentum getankt haben, gehen wir zu Jimmy Johns essen. Ein neuer Fastfood-Tempel, der uns empfohlen wurde und 'Gourmet-Sandwiches' verkauft. Stylish, sehr cool und sehr jugendlich. Es läuft laute Musik, die Fahrradkuriere springen umher, nebst dem aufgekratzten Personal, an den Wänden hängen Schilder mit originellen Sprüchen - die ich nahezu komplett abfotografiere, weil sie mir so gefallen.

 

Gestärkt machen wir uns auf den Weg zum City Center, einem legendären Einkaufszentrum, das erst vor 10 Tagen seine Eröffnung gefeiert hat, angeblich von einem Stararchitekten entworfen, der sich ebenfalls in Vegas einen Namen gemacht hat - und für das bereits etliche Meilen vor Salt Lake City an der Interstate eindringlich geworben wird.

 

Es ist Samstagnachmittag, die Location neu - das City Center ist proppenvoll. Menschenmassen schieben sich durch die Gänge, Passagen und Geschäfte und lassen kaum einen Quadratzentimeter Raum - ich ertrage das nicht - und genauso schnell wie wir es betreten haben, verlassen wir das Shopping-Paradies wieder.

 

Nun geht es zurück zum Auto, das wir in einem Parkhaus abgestellt haben. Wir lösen es aus, fahren los, halten noch an einer Tankstelle, um zu tanken und die Scheiben zu putzen, die eine Reinigung dringend benötigen -  ich entdecke eine Zeitung, die sich 'Busted Paper - Nation's hardest hitting crime paper' nennt - und kaufe sie mir. Auf der Fahrt werde ich mir die 'Most Wanted' des Monats samt ihrer Verbrechen zu Gemüte führen. Wobei mir einmal mehr bewusst werden wird: These are the States.

 

Wir beschließen, einen Abstecher zum Antelope Island State Park am Salt Lake zu machen - denn bisher haben wir noch kein Quentchen von dem diese Region taufenden Salt Lake gesehen. Wir fahren bis auf die Antelope Island - bewundern den salzhaltigen Salt Lake und genießen das Gefühl von Sonne, Wasser, salzhaltiger Luft und nackter Füße im Sand an seinen idyllischen Stränden. Das Naherholungsgebiet von Salt Lake City. Wir fühlen uns wie am Meer.

 

Schließlich brechen wir auf, verlassen die Insel - verlassen Salt Lake City -  und schließlich seinen Speckgürtel - gen Süden. Die Nationalparks des Colorado Plateaus stehen als nächstes für uns auf dem Programm. Wir halten unterwegs wiederholt an einer Tankstelle, an der ich mir eine Subways-Pizza zum Abendessen kaufe - fahren weiter bis nach Nephi. Und übernachten dort. Im hiesigen Super 8.

 

Wo sonst.

 


 

 


 

read more: » [01. April] «

 


© 2o12, Saskia Katharina Krost