Die Reise
Tatsächlich möchte ich diese Reise seit knapp 2 Jahren realisieren. Als ich
damals das erste Mal die Staaten besuchte - mit meinem damaligen
Freund - verliebte ich mich auf Anhieb in dieses Land und es
pflanzte sich eine tiefe Sehnsucht in mir. Diese Sehnsucht gebot,
zurückzukehren - und genau diese Route abzufahren - wie ich sie nun
abfahren werde. Ich trug sie vor meinem geistigen Auge.
Nicht
nur, dass ich mir einen Traum erfülle - diese Reise beherbergt
so viel mehr. Denn tatsächlich ist diese Reise
inzwischen zu einem tiefen
Symbol für mich erwachsen.
Als
ich meinen Exfreund damals das erste Mal in die Staaten begleitete,
geschah dies nach 4 Jahren Beziehung und unendlichen Kämpfen.
Auseinandersetzungen rankten sich um alles und jedes, Provokationen,
Streits. Die Beziehung war schwierig und häufig alles andere als
schön - dennoch bezeichnete ich ihn als Mann meines Lebens und hielt
an ihm fest. Ich liebte ihn sehr.
Eine
besondere Herausforderung dieser Beziehung lag darin, dass sie von
Anfang an aufs Essentiellste gefordert war. Als wir uns begegneten,
lagen 14 Jahre Drogenabhängigkeit hinter meinem Ex, Heroinabhängigkeit,
und
kennzeichneten gleichwohl seine Gegenwart. Auch wenn es unglaublich klingen
mag: Ich habe nichts davon bemerkt. Es war nicht sichtbar nach außen -
nicht für mich und nicht für die Menschen in meinem Umfeld. Okay, er war ein
oft
übelgelaunter, unfreundlicher Kerl mit einer ausgeprägten Schnodderschnauze -
aber das blieb er auch, nachdem er längst clean geworden war...
Aber
auf einer tieferen Eben habe ich sicherlich von seiner Problematik
gewusst - und mich zu dieser Erfahrung bereiterklärt.
Bewusst sollte ich hingegen erst nach 2 Monaten von seiner Abhängigkeit
erfahren - und dann ging alles sehr schnell. Entzug, stationäre
Therapie, Adaptionsphase, und so weiter... Ein Zug durch die
Institutionen - der sich letztlich über Jahre hinziehen sollte.
Für
mich stellte sich nicht die Frage, ihn zu verlassen, als ich von
seiner Suchtkrankheit erfuhr. Ich liebte ihn - und wollte an
seiner Seite gehen.
Denn
was ich sah, war nicht vorrangig seine Drogenabhängigkeit - ich sah
seinen Willen, dieses alte Leben hinter sich zu lassen. Einen echten
Unterschied zu machen. Seinen tiefen Wunsch, diese Krankheit zu
überwinden. Das sollte für mich den Ausschlag geben. Seine Schwester
sagte damals den bezeichnenden Satz zu mir: "Du bist die erste
Frau, die
den Menschen sieht. Und nicht den Junkie. Die anderen wollten ihn
immer retten." Ich aber nahm ihn beim Wort. Trotz mehrerer
gescheiterte Therapieversuche, die er bereits hinter sich hatte -
ich trug in mir die tiefe Gewissheit, er würde es dieses Mal
schaffen. Wir würden es schaffen.
Und
er schaffte es. Wir schafften es.
Aus
heutiger Perspektive muss ich jedoch hinzufügen: Hätte ich
gewusst, was auf mich zukommt - ich wäre diesen Weg nicht gegangen.
Niemals.
Einer
unserer unzähligen wunden Punkte sollte sich irgendwann auch um seine USA-Aufenthalte
ranken.
Seine Mutter lebte seit knapp zwei Jahrzehnten in den Staaten. Mein
Exfreund besuchte sie dort alle 1-2 Jahre für mehrere Wochen.
Nachdem wir 2 Jahre Beziehung und Drogentherapie durchlebt hatten, bestand das erste Mal
im Rahmen seiner Therapie die Möglichkeit, Urlaub zu nehmen und
zu verreisen. Neue Kraft zu schöpfen. Er war es gewesen, der
in den letzten Jahren immer wieder zu mir gesagt hatte: 'Hey, wenn
wir das hier hinter uns haben - dann fahren wir zusammen in die
Staaten.'
Aber
es kam anders. Monsieur bemerkte eines lieben Tages, als wir uns
trafen, beiläufig: 'Ach übrigens, ich habe heute einen Flug in die
Staaten gebucht - in zwei Wochen geht es los...'
Lange
Rede: Er fuhr alleine.
Es
war eines seiner vielen ungehaltenen Versprechen. Fast wäre es noch
vor seinem Abflug zu einer Trennung gekommen. Ich verlieh meinem
Ärger und meiner Enttäuschung Ausdruck. Was ihn wiederholt an seine
Grenzen brachte. Also sprach er von Trennung.
Es
sollte weitere zwei Jahre dauern, bis ich meine Füße erstmalig auf
amerikanischen Boden setzte - an seiner Seite.
Zwei
Jahre, die weiterhin geprägt sein sollten von Therapie,
Auseinandersetzungen und Provokationen.
Inszenierten Dramen. Absurditäten und Unmöglichkeiten.
Und: Inklusive einer Trennung. Im dritten Jahr unserer
Beziehung sollte ich einen dramatischen Unfall
erleben - mit dem Resultat eines
komplizierten Oberschenkelbruchs, der mich von heute auf morgen zum
Erliegen brachte. Und mir wortwörtlich zu sagen schien: 'Es
geht so
nicht weiter.' Im wahrsten Sinne nicht. Ich konnte nicht mehr
laufen. Bekam zum ersten Mal eine ganz, ganz leise Ahnung davon, wie
es sein musste, von heute auf morgen seine Beweglichkeit einzubüßen. Es war ein traumatisches Erlebnis. Von jetzt auf gleich war
ich aus meinem gewohnten Leben herauskatapultiert.
Ich
hörte
auf zu rauchen. Dachte mir: 'Wenn ich an dieser Stelle ein
Stück Gesundheit verliere - dann erobere ich mir dafür ein anderes.'
Meine letzte Zigarette habe ich kurz vor dem Unfall geraucht. Ich
finde diesen Gedanken immer noch kurios.
Ich brauchte
viele Monate, inkl. Krankenhaus und Reha, um wieder auf die Beine zu
kommen. Mir das Laufen
vollständig zurückzuerobern. Schritt
für Schritt. Arbeiten ging ich bereits nach ein paar Wochen wieder.
Nämlich sobald ich meinen Hintern auf einen Stuhl setzen und dort
für ein paar Stunden halten konnte. Nur
noch unterbrochen von dem Reha-Aufenthalt. Die Galerie war eine große Stütze für
mich in dieser Zeit. Sie gebot mir Aufgabe und Ablenkung und gab mir
ein Stück Normalität zurück.
Sobald ich einigermaßen wiederhergestellt war - trennte ich
mich. Die Dramen wollten nicht enden. Kontinuierlich verfolgte mein
Exfreund seine Strategie, jeglichen Konflikt dadurch zu lösen, von
Trennung zu sprechen und sich kurzfristig vom Acker zu machen. Um sodann
nach ein paar Tagen wiederzukehren - als wäre nichts gewesen. Es
zermürbte mich. Ich hatte keine Kraft mehr dafür.
Als er mir eines Tages spontan eine Verabredung absagte -
wieder einmal - um stattdessen einen Mittagsschlaf zu halten
- sollte mir der Kragen platzen. Ich hatte ihn pünktlich
abholen sollen, nicht zu früh und nicht zu spät, und fuhr bereits seit
einer Stunde durch die Gegend, um verbleibende Zeit zu überbrücken.
Was ich mir zweifelsfrei hätte sparen können - wie sowieso meine
gesamte Tagesplanung. Ein allzu vertrautes Spiel.
Als wir uns abends sahen und ich ihm erklärte, dass die Freiheit,
die er sich nähme, meine Freiheit wiederum drastisch schmälere,
dass ich mehr Verantwortlichkeit und Kooperation von ihm brauchte,
reagierte er wie üblich. In Form eines cholerischen Anfalls
nämlich und des Satzes: 'Dann müssen wir uns eben trennen!' Meine Reaktion
hingegen war nicht die übliche. Ich ließ los. Prompt und komplett. Erwiderte: "Gut. Dann
müssen wir das eben tun." Und ging.
Ich glaube nicht an Trennungen, soviel ist sicher - und ich liebte
ihn, nach wie vor - aber diese hier war meinem Überleben geschuldet.
Während ich mich meiner
Gesundung widmete, sollte er massiv um mich kämpfen. Letztlich erstaunlich, wie
schnell ich mich regenerierte. Vergleichsweise rasch war
ich wiederhergestellt. Drei Monate später
gab ich seinem Werben statt - wir kamen wieder zusammen.
Nun
setzte er auf das volle Programm: Er bemühte sich sehr, kooperierte, zog bei
mir ein, sprach von Heirat und Kindern.
Zwar
betrachtete ich die Dinge kritisch und zurückhaltend, insbesondere, was
seinen Einzug bei mir betraf, wusste ich doch, wie schnell die
Wetterlagen bei ihm umschlagen konnten. Und aus einem heißen,
heiteren Sommertag urplötzlich ein zerstörerisches Unwetter
hervorbrechen konnte. Aber ich freute mich über die Entwicklung. Und
genoss sie letztlich. Sehr sogar.
Schließlich fuhren wir in die Staaten.
In
diesen letzten Monaten unseres Zusammenseins sollten wir eine absolute
Hochphase unserer Beziehung erleben. Nicht zuletzt fanden wir auf dieser
Reise eine weitere, gemeinsame Passion: die Vereinigten Staaten -
das Land mit seinen grandiosen Landschaften, Möglichkeiten, seiner
Weite & Freiheit.
Tatsächlich wäre ich um ein Haar als verheiratete Frau aus den
Staaten zurückgekehrt - er fragte er mich, ob ich 'Ja' sagen
würde, wenn er in Vegas um meine Hand anhielte. Ja. Ich wollte ihn
heiraten. Aber
nicht hier und jetzt. Ich ermahnte mich: 'Saskia, hold up a minute!' Ich
brauchte Zeit. Zeit, um zu sehen, ob die Lage wirklich so stabil war,
wie sie vorgab zu sein.
Und ich weiß im Nachhinein, dass ebenfalls der Umstand einer
erfolgten Heirat nichts am weiteren Verlauf unserer Beziehung
geändert hätte. Gar nichts. Es wäre alles genauso gekommen. Es hätte
ihn nicht im Geringsten abgehalten - es hätte die Sache nur noch
traumatischer gemacht. Zumindest für mich. Er liebte Dramen. Ich
hasste sie.
Aus diesem Grund war mein Zögern weise.
Auf
unserer Rückreise weinten wir beim Abschied von diesem Land, planten bereits unseren nächsten
Aufenthalt - und waren sehr eng miteinander verbunden, zeitgleich
auf eine entspannte, natürliche Weise - es war wunderschön. Und es
war uns anzumerken.
Wir
schienen glücklich. Wenigstens kurzfristig. Vier Wochen später zog er bei mir aus.
Der zutage liegende Anlass war wieder
einmal nichtig. Wir hatten Streit. Streit um nichts. Als er
schließlich sagte, dass er sich vom Acker machen würde - er zöge aus
-, und zur Tür hinaustrat, fragte
ich ihn, ob er verstehen würde, dass ich mich trennen müsse,
wenn er jetzt wieder einmal ginge. Dass mir einfach keine Wahl verbliebe. Dies
war meine Wahrheit. Er lachte und ging. Mir wurde schwindlig und ich
verlor den Boden unter den Füßen. Tief in mir wusste
etwas - es ist vorbei.
Zwei Wochen später
wollte er wieder
bei mir einziehen - aber ich gab ihm nicht statt. Ich konnte nicht.
Ich benötigte Schutz vor seiner Willkür und seinen brachialen
Tageslaunen. Ansonsten würde ich vor die Hunde gehen. Früher oder
später. Daher machte ich
Einsicht und ein ernsthaftes Gespräch zur Bedingung. Er wiederum machte keine Anstalten. Also
blieb es dabei.
Es
war zutiefst traumatisch für mich.
Zwar
war ich glasklar in dem Bewusstsein, dass es so nicht ginge. Dass ich
mich verlieren würde. Und irgendwann auch nicht mehr wiederfinden. Und
dennoch zerriss es mir das Herz.
Ich
brauchte lange, um mich wieder aufzurichten. Ich schritt durch die
Hölle. Kroch am Boden. Dachte, ich sähe nie wieder Licht.
Etliche Faktoren erschwerten diese Trennung darüber hinaus. Er
verbreitete Bösartigkeiten über mich. Stellte mich bloß. Gab
intimste Details preis. Ein Wort des Dankes hörte ich hingegen
niemals von ihm.
Was
gestern als Liebe deklariert war, wurde heute deklariert als Hass.
Ich fand für mich darin keine Wahrheit. Es brach mir das Herz.
Wir
haben nie wieder ein einziges Wort miteinander gesprochen.
Ganz
sicher war dies nicht die erste Krise in meinem Leben - auch nicht
die erste drastische. Aber die erste Krise, bei der sich zur
Verzweiflung ein Gefühl tiefster Ohnmacht gesellte. Das Gefühl, dass
mir die Fäden komplett aus der Hand genommen waren. Zwar war dies
ein Trugschluss - aber dies vermochte ich erst sehr viel später
zu erkennen.
Nach
einer Zeit begann ich, von überallher meine Einzelteile wieder
aufzusammeln. Setzte sie Stück für Stück zusammen.
Langsam. Und sehr behutsam. Ich hatte mein Vertrauen verloren.
Meinen Glauben. Mich selbst.
Was
das Schlimmste für mich war: Nicht einmal die Tatsache, dass wir
getrennt waren.
Wir hatten den Ernstfall zur Genüge geprobt - ich musste jederzeit
auf ihn vorbereitet sein.
Das
Schlimmste war, dass es mir schien, als hätte er meine Träume
mitgenommen. Meine Hoffnung, meinen Glauben, meine Zukunft. Meine
Visionen.
Und
dies war Art und Zeitpunkt der Trennung geschuldet. Sie hätte für mich
kaum
traumatischer erfolgen können - quasi stehend auf
dem Zenit. In wenig friedvoller Weise. Und kam damit einem Absturz aus schwindelerregenden,
größtmöglichen Höhen gleich.
Bei
diesem Sturz entglitten mir alle Antworten. Und ich behielt zurück -
einzig Fragen.
Ich
fühlte mich beraubt. Um meine innersten Güter. Um mich selbst.
Heute
weiß ich, dass dieses Empfinden auf einer Illusion basierte. Unsere
Essenz kann uns nicht verloren gehen. Noch kann uns ein anderer
Träume, Hoffnungen, Glauben, Zukunft und Visionen stehlen. Oder sich
dauerhaft mit geliehenen Artefakten schmücken.
Äußere Ereignisse können sie vielleicht kurz- oder langfristig unter
einem Berg von Schutt, Dreck & Asche unter sich begraben -
aber sie sind nicht fort. Niemals.
Zu
mir zurückzufinden - meine Träume, Ziele und Visionen
unter den Trümmern hervorzuziehen und vom Schmutz zu befreien - sie
gegebenenfalls auch zu etwas Neuem und Größerem zusammenzusetzen - ist für mich demnach von existentieller Bedeutung.
Es
geht um das Verstehen, dass diese Träume, Ziele und Visionen allein
mir gehören. Und niemanden sonst.
Dass
ich Verantwortung für sie trage. Und niemand sonst.
Diese
USA-Reise zu realisieren - die zuletzt so sehr verkörperte,
angekommen zu sein - bevor es mir jäh wieder aus den Händen
genommen wurde - und ohne den Mann, den ich liebte und mit dem ich
unzweifelhaft meine Zukunft sah - ist ein wichtiger Schritt auf
diesem Weg.
Let's
get started.
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